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04.01.2022

Sturm im Wasserglas


Die heimlichen Gewinner der gestrigen Etappe fielen nur denjenigen auf, die ganz genau hinguckten: Khalid Al-Qassimi und Dirk von Zitzewitz legten einen Husarenritt hin, der sie auf Rang 29 ins Ziel führte – und das, obwohl sie als 72. in die Etappe hineingegangen waren.

Nach ihrem Getriebeschaden am Sonntag, wo sie bis weit nach Einbruch der Dunkelheit auf den Servicetruck ihres Teams warten mussten und so erst am frühen Morgen ins Biwak kamen, musste Al-Qassimi am Volant Schwerstarbeit leisten: Der Wüstensand war vom Starkregen der vergangenen Tage durchweicht und fühlte sich teilweise an wie ein Moorboden. Autos und Motorräder wurden förmlich in ihn hineingezogen. Und das arabisch-ostholsteinische Duo musste sich zudem durch tiefe Rillen und aufgewühlten Sand wühlen, weil vor ihnen nicht nur die Motorräder und die besser klassierten Autos losgefahren waren – sondern auch viele Side-by-Sides und Lkw. Die offene Wüste war entsprechend schon gut umgepflügt, als Al-Qassimi/von Zitzewitz sie querten.

Der Weg nach vorn war zudem gespickt von vielen Überholmanövern, denn der Peugeot-Gebrauchtwagen musste irgendwie an den SSV, Lkw und langsameren Autos vorbeikommen, um sich zeitenmäßig dort einsortieren zu können, wo man von der reinen Fahrzeugtechnik hingehört: in den Kreis der erweiterten Spitzengruppe. Die umfasst dieses Jahr 30 Autos – so viele wie lange nicht mehr.

Doch nicht nur deswegen ist der Überholslalom mit äußerster Hochachtung zu bewerten. Sondern auch, weil der Peugeot 30008 DKR ein Buggy ist. Also ein Hecktriebler. Und die waren im durchweichten, tiefen Sand von gestern den Allradlern der T1+ und der Ökologenklasse klar unterlegen. Die 4x4 fanden spielerisch Traktion, wo die 2WD hilflos nach Grip scharrten und wühlten.

Die Entrüstung über die Causa Navigati von Etappe 1B ist derweil drauf und dran, im Sande zu verlaufen. Zwar überlegten diverse Teams, darunter Audi und Century, Protest gegen das Ergebnis der Tageswertung einzulegen. Century-Chef Julien Hardy ließ über WhatsApp eine digitale Schimpfkanonade los. Doch ein Blick ins Sportliche Regelwerk nahm den möglichen Protestführern den Wind aus den Segeln: Darin steht nämlich, dass man gegen allfällige Fehler im Roadbook schlicht keine Einspruch einlegen kann. Quasi wie eine Tatsachenentscheidung im Fußball vor Einführung des Videobeweises.

Die Veranstalter stellen sich damit einen Persilschein aus, sie schützen sich vor ihren eigenen Fehlern.

Das klingt auf den ersten Blick reichlich demagogisch. Doch tatsächlich ergibt der Passus bei nüchterner Betrachtung Sinn: Er vermeidet, dass ein Protestant einen Präzedenzfall setzen kann – und damit die Büchse der Pandora zu immer neuen Protesten, Einsprüchen, Berufungen und Rekursen öffnet.

Denn bei der Dakar gilt auch das heimliche Motto: Irgendwas ist immer.

Wenn man ein Mal mit der Protestierei gegen solche Impromptu-Situationen einfängt, kann sich plötzlich jeder zu Einsprüchen gegen alles Mögliche befleißigt fühlen. Und dann kommt man rasch zu einer Situation, in der alle Tagesergebnisse nur noch vorläufig sind und man die Resultate immer am Grünen Tisch verifizieren muss. Das gleitet schnell ins Lächerliche ab, macht die ganze Veranstaltung nicht nur unglaubwürdig, sondern raubt ihr auch ihre Seele und ihre Faszination.

Oder glaubt wirklich jemand, die Formel 1 und früher die Tourenwagen-WM haben sich Gefallen damit getan, dass es dauernd Palaver, Protestgezänk und um Stunden verzögerte endgültige Ergebnisse gibt?

Der Geist der Dakar ist ein anderer. Klar, am Sonntagabend und auch Montag regierte der Groll über den Fehler. Aber mit etwas Abstand wird auch den Protestanten einfallen: Navifallen gehören zum Sport dazu. Mal erwischt es die Anderen, mal einen selbst. Da braucht man nur ein Jahr zurückspulen – als Stéphane Peterhansel/Edouard Boulanger als ein Gespann der Wenigen den richtigen Weg aus einem Toten Tal fanden und damit den Grundstein zu ihrem Sieg legten. Auch da witterte die Konkurrenz alles Mögliche, von Fehler bis Verrat, genau wie Sonntagabend.

Mag ja sein, dass Al-Attiyah/Bäumel externe Tipps bekamen für den neuralgischen Punkt. Das gehört dann eben auch zu ihrer Perfektion als Oberwüstenfüchse dazu.

Und wenn man gegen Roadbookfehler protestieren könnte – wo zöge man die Grenze? Spuren, die beim Aufschrieberstellen noch klar zu erkennen sind, können sich bis zum Start der Etappe schon ganz anders präsentieren. Weil Regen sie verwischt. Weil Einheimische noch kurz vor knapp durch die Region gefahren sind und neue Spuren gelegt sind. Vielleicht sogar, weil Dromedarherden quer drüber getappst sind. Bei einem Freiluftabenteuer wie der Rallye Dakar können zig Einflüsse bis hin zur lokalen Fauna die Bedingungen umschmeißen. Genau das gehört zum Mythos und derunbändigen Faszination dazu.

Deswegen: Deckel drauf auf den – nachvollziehbaren – Überschwang der überkochenden Emotionen des sportlichen Ehrgeizes.

Die verhinderten Protestführer möchten nun ein geharnischtes Protestschreiben aufsetzen, in dem sie gegenüber der Rallyeleitung ihren Unmut über das Geschehen zum Ausdruck bringen.

Denn man zu.

Der Starkregen der vergangenen Tage hat nicht nur Spuren verwischt und Ärger hochkochen lassen – sondern auch das Menü der Etappen 2 und 3 auf den Kopf gestellt. Die eigentlich geplante Marathonetappe musste kurzerhand zu einer normalen Prüfung umgewidmet werden, da das für Montagabend geplante abgeschlossene Biwak für die Marathonmänner wegen knöcheltiefen Wassereinbruchs nicht nutzbar war.

Der ursprünglich zweite Teil einer Marathonetappe ohne nächtlichen Service durch die Teams hat sich stark verändert, auch wenn die Wertungsprüfung identisch geblieben ist: Mit dem Wegfall des Marathonelements sind auch taktische Überlegungen zur Schonung von Material, Reifen und Co. perdu. Jetzt führt die Etappe in einer Schleife um Al-Qaisumah.


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