01.08.2025
Geht das schon wieder los? Auch für das Ungarn-Wochenende ist Regen vorhergesagt. Und seit Spa herrscht im Fahrerlager der Galgenhumor vor, bei Niederschlag könne die Formel 1 inzwischen gar nicht mehr fahren.
In der Tat haben die besten Autofahrer der Welt sich in Belgien nicht mit Ruhm bekleckert, als sie sich bei einer internen Besprechung vor dem Regenstart dafür starkgemacht haben, bei nasser Bahn den Grand Prix erst gar nicht anzupfeifen. Gischt und prekäre Sichtverhältnisse bei Regen sind nicht neu. Die Wasserverdrängung und Art, wie die aktuellen Reifen und die Unterböden das stehende Wasser aufwirbeln, zwar in Teilen schon. Doch auch früher gab es immer wieder Rennen, bei denen die Sicht problematisch war.
Lange Jahre galt das einzige Hinderniskriterium: Wenn der Rettungshubschrauber wegen tief hängender Wolken nicht fliegen kann, wird nicht gefahren – zu unsicher. Inzwischen ist es den Fahrern selbst zu unsicher, bei Nässe fahren zu müssen. Und sie können auf eine Rennleitung einwirken, die zu schwach ist und Angst vor der eigenen Courage hat: Seit dem tödlichen Unfall von Jules Bianchi bei einem Regenrennen in Japan haben sich die Prämissen verschoben. Denn damals haben die hinterbliebenen Eltern eine Zivilklage gegen die Veranstalter angestrengt, wegen fahrlässiger Tötung und sonstiger justiziabler Spitzfindigkeiten, die für den Tod ihres Sohnes verantwortlich sein könnten.
Zwar lag die Schuld für den Unfall bei Jules Bianchi, der an der neuralgischen Stelle den Warnfahnen der Sportwarte nicht genug Beachtung geschenkt und für die Streckenbedingungen schlicht mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren war. Doch das wollten die Eltern nicht akzeptieren.
Damit haben sie einen Prozess geschaffen, der direkte Auswirkungen auf die Entscheidungen heutiger Funktionäre hat: Sowohl der Automobil- als auch der Motorradweltverband haben interne Anweisungen an ihre Entscheidungsträger rausgegeben, dass auf gar keinen Fall weitere Fälle dieser Art passieren dürfen, wo der Verband in Haftung genommen werden kann. Mit der Folge, dass viele Rennleiter und Sportkommissare bei der kleinsten möglichen Gefahr von einer Nervosität angefallen werden, die in vorauseilendes Gehorsam mündet.
Das Kreißen um diese Vorsicht gebiert dann Fehlentscheidungen wie die Startverzögerung von Spa oder auch den Abbruch der Deutschen Speedwayjuniorenmeisterschaft in Wolfslake einige Wochen früher wegen einer ruppigen Bahn: Es könnte ja theoretisch was Schlimmes passieren, also lässt man sicherheitshalber gar nicht fahren. Absicherung der eigenen Person und Posten geht vor sportliche Anforderungen.
Die Folgen sind allenthalben zu beobachten: Wenn manche Verbände mutiger sind als andere, entstehen solche Diskrepanzen wie beim Speedway. Kurz nach dem Abbruch von Wolfslake musste eine deutsche Mannschaft bei einem Team-EM-Rennen in Ludwigslust auf wegen Regens schwieriger Bahn ran – und die Deutschen trauten sich nichts zu, gingen gegen Dänen, Engländer und Tschechen, deren Grundausbildung weniger zimperlich ist, gnadenlos unter.
In der Formel 1 sind Regenrennen immer die spannendsten Gradmesser. Kein Fahrer beherrscht das Umschwenken von einer trockenen auf die Regenlinie so gut wie Max Verstappen. Auch früher schon hat sich im Regen gezeigt, wer wirklich ein herausragender Pilot aus. Stichwort: die Runde der Götter von Ayrton Senna in Donington.
Wenn Sicherheitsdenken überhand nimmt, geht das zulasten der Qualität, und es breitet sich ein Mittelmaß aus, das jeden Fortschritt lähmt. Im Motorsport gilt aber wie in jedem anderen Sport und auch in der Wirtschaft: Stillstand ist Rückschritt. Und es wird immer einer kommen, der es einfach macht – und der alle Anderen dann alt aussehen lässt.
Bislang gab es im Automobilsport nur die NASCAR-Serie, die bei Regen nicht fahren mag. Aus gutem Grund: Die meisten Rennen der V8-Tourenwagen finden auf Ovalkursen statt, mit mal mehr, mal weniger überhöhten Kurven. Von denen rinnt das Wasser nur runter, die Gripverhältnisse sind nicht kalkulierbar. Deswegen gibt es für die NASCAR erst gar keine Regenreifen: Man kann bei Niederschlag nicht im Oval fahren.
Die Formel 1 kann problemlos im Regen fahren. Die Fahrer gelten als die besten der Welt. Sie müssen ihre Autos auch auf glitschiger Bahn beherrschen können. Sie müssen rausfinden und spüren können, wo die Grenze der Haftung abreißt, und sich dann auf diesem schmalen Grat bewegen können. Das macht ihr Können aus.
Wenn wie in Spa die Fahrer zu viel Respekt vor der Strecke und die Funktionäre zu viel Angst um die eigene Position haben – dann unterminiert das den ganzen Mythos der Königsklasse, der Mythos von Helden am Steuer verkümmert zu einer Wahrnehmung von Memmen mit Hipster-Attitüde, aber ohne Leistungsbereitschaft.
In Ungarn ist immerhin die Strecke so anders, dass man dort bei Regen ohne Gefahr fahren kann. Wenn man sich traut.