24.10.2025
Die Rechnung ist ziemlich einfach: Noch kann Max Verstappen nicht aus eigener Kraft Weltmeister werden. Sollte der Niederländer in der verbleibenden Saison alle Sprints und Grands Prix gewinnen, dann müsste er darauf hoffen, dass Oscar Piastri ein Mal nur Dritter wird. Denn nur dann wären beide am Jahresende punktgleich – und in dem Fall gebe die Majorität der besseren Ergebnisse den Ausschlag zugunsten des Niederländers.
Das ist natürlich nur ein theoretischer Wert. Ein Maximum des Niederländers ist höchst unwahrscheinlich. Aber dennoch ist die Chance für Verstappen plötzlich greifbar. In erster Linie, weil McLaren, das Team von Oscar Piastri, gerade dabei ist, den Titel leichtfertig zu vertändeln.
Dabei ist ausdrücklich nicht die Rede von der fehlenden Stallorder. Im Gegenteil. Das Gebot des freien Fahrens für Piastri und Lando Norris, solange beide noch WM-Chancen haben, ist ausdrücklich zu begrüßen. Aber McLaren stellt sich gerade alle anderen verfügbaren Beine. Das geht schon damit los, dass bis zum Ende des Jahres keine neuen Bauteile und Ausbaustufen mehr vorgesehen sind.
Red Bull geht einen anderen Weg. Man hat sich inzwischen davon verabschiedet, das zweite Auto – für Yuki Tsunoda – so abzustimmen wie den Wagen für Verstappen. Stattdessen setzt man alles auf den Titelverteidiger, hat für den eine völlig andere Kombination aus Heckflügel, Bodenfreiheit und Hinterachsgeometrie inklusive Sturz und Vorspur der Hinterräder perfektioniert. Die passt nur zu Versteppend Fahrstil, nicht zu Tsunodas. Der Japaner ist eh’ zu langsam, um den McLaren Punkte zu klauen und so etwa auf Platz 2 hinter Verstappen als dessen Schützenhelfer eingesetzt zu werden.
Aber Red Bull baut seinem Upgradefahrplan treu, entwickelt den Wagen weiter bis zum Saisonende. Damit wird der Rückstand auf McLaren weiter eingedampft. Aus einem Auto, das nur auf einige Strecken schneller ist als der McLaren, avanciert so womöglich schon bald der beste Allrounder, der die Orangenen auf allen Pisten mindestens einheizen kann.
McLaren schaut zu. Und gurkt intern mit seinem hausgemachten Problem herum, beide Fahrer auf jeden Fall sportlich fair und gleich zu behandeln. Längst grassiert im Fahrerlager der Spott: Wenn einer der beiden einen Unfall baut – wird dann der Teamkollege per Funk aufgefordert, auch in die Wand zu fahren? Alles Andere sei ja schließlich nicht fair, so teamintern betrachtet.
Ist natürlich auch übertrieben. Aber McLaren hat sich ohne Not in eine Bredouille gebracht, die am Ende beide Fahrer den Titel kosten kann. Jetzt, in Mexiko, fährt der einheimische Patricio O’Ward, ein IndyCar-Fahrer, ein Freies Training anstelle von Piastri. Das war schon seit Saisonbeginn so vorgesehen, es passt zum Fahrplan, die Freitagstrainings manchmal zur Nachwuchsförderung oder für andere Fahrer hergeben zu müssen. Das sagen die Regeln. In Mexiko sind deswegen bei allen Teams andere Fahrer als jeweils einer der Stammpiloten zugange.
An sich nichts Verwerfliches, sondern eher lobenswert. Aber in der jetzigen Großwetterlage wird der Spieß sofort umgedreht: Nun wirkt es so, als werde Piastri in genau jener Phase der Saison vom Team benachteiligt, weil um wertvolle Vorbereitungszeit gebracht, in der es für den Aussie darauf ankommt, sich im Team gegen Norris durchzusetzen und so auch die Waffen gegen Verstappen zu schärfen.
Längst tönt es vielstimmig durchs Fahrerlager, McLaren-Boss Zak Brown würde sogar Lando Norris bevorzugen.
Das tut er nicht. Er lässt beide auf Augenhöhe kämpfen. Aber er und sein Teamchef Andrea Stella kriegen den Geist grad nicht in jene Flasche zurück, aus der sie ihn mit dem ebenso hehren wie unsinnigen Platztausch von Monza rausgelassen haben.
Da tickt Red Bull anders. Solch’ falsch verstandene Fairness kommt dem Team aus Milton Keynes nicht in den Sinn. Da wird alles dem Erfolg untergeordnet. Die Formel 1 ist wie jeder Hochleistungssport immer auch Darwinismus.
Es ist schon Jahrzehnte her, da habe ich mich mal in irgendeinem Fahrerlager mit Bob Bell unterhalten, damals Chefkonstrukteur beim Formel 1-Team von Renault. Wir sprachen weiland über eine Minimalchance seines Teams, ein Titelrennen doch noch umdrehen zu können. Er schwor Stein und Bein, alles daranzusetzen. Sein Satz klingt mir heute noch in den Ohren: „WM-Titel sind ein so seltenes Gut; wenn man die Chance hat, mal einen zu gewinnen, dann kämpft man mit allem dafür, was man hat.“ Im weiteren Verlauf des Gesprächs fiel die Rede auf ein Jahr, in dem BMW als Werksteam sich entschloss, die Weiterentwicklung des Autos vorzeitig einzustellen, obwohl Robert Kubica damals noch rechnerische WM-Chancen hatte. „What BMW did“, sagte Bell damals „was ludicrous.“
Also lachhaft.
Jetzt wiederholt McLaren genau diese Komödie der Irrungen.