17.03.2023
Rennen sind nur ein kleiner Teil. Das Geschäftsmodell eines modernen Formel 1-Teams setzt sich aus vielen Bausteinen zusammen. Das wird gerade an diesem Wochenende offensichtlich. Denn während die Grand Prix-Szene in Saudi-Arabien unterwegs ist, findet in Sebring – eine gute Autostunde südwestlich von Orlando in Florida gelegen – ein Megawochenendes des Sportwagen-Langstreckensports statt.
Auf einem rumpligen ehemaligen Militärflughafen, dessen Landebahnen und Wirtschaftswege zu einer Rennstrecke umgewidmet worden sind, stand am Freitag ein Achtstundenrennen der Sportwagen-WM statt. Also jener Serie, die rund um die 24 Stunden von Le Mans etabliert worden ist. Und am Sonnabend folgt ein 12 Stunden langer Marathon für die IMSA-Serie – das nordamerikanische Pendant zur WM.
Auf der Langstrecke treten unter anderem Porsche und Cadillac mit ganz neuen Modellen an. Und mit unterschiedlichen Motorisierungen: Der Porsche 963 fährt mit einem Biturbo-Motor, der Cadillac amerikatypisch mit einem dicken, klanggewaltigen 5,5-Liter-V8-Sauger. Und auch die Karosserieform der beiden Wagen unterscheidet sich. Um sie trotzdem auf Augenhöhe gegeneinander rennen zu lassen, werden sie über verschiedene Stellschrauben so eingestuft, dass sie theoretisch von ihrer Basis her gleich schnell sein sollten.
Die Luftführung ist eine jener Stellschrauben. Deswegen müssen alle dieser LMDh-Modelle in einem Windkanal vermessen werden, um die genaue aerodynamische Konfiguration festzulegen. Die Karosserieform wird dann von den Herstellern umgesetzt – und vom Automobilweltverband FIA homologiert. Diese Homologation ist quasi die TÜV-Zulassung für Rennautos.
Und die Vermessung der Aerodynamik für die Homologation erfolgt zentral für alle Hersteller in ein und demselben Windkanal: Beim Sauber-Formel 1-Team in Hinwil im Zürcher Oberland. Denn, lächelt Urs Kuratle, der LMDh-Projektleiter bei Porsche, „irgendeiner muss denen ja den ganzen Spaß bezahlen.“
Das Untervermieten des Windkanals ist eine der lukrativsten Einnahmequellen für ein Formel 1-Teams. Es funktioniert erst, seit die „Wind-on Hours“, während derer die eigentliche Grand Prix-Teams ihren Windtunnel nur nutzen dürfen, vom Formel 1-Reglement begrenzt sind. Das eröffnet den Rennställen die Möglichkeit, die sonst leerstehenden Windkanäle für andere Aktivitäten zu nutzen.
Audi Sport hat all’ ihre Le Mans-Sportprototypen im Windtunnel von Sauber entwickelt. Und die FIA nutzt den Kanal nun für die Homologation der Sportwagen für die WM. Diese Art der Querfinanzierung ist für die Finanzen der Teams überlebensnotwendig. Audi hat bei Sauber so viel Geld für das Le Mans-Projekt gelassen, dass die Hinwiler nur deswegen die Zeit nach dem Ausstieg von BMW als Formel 1-Werkspartner wirtschaftlich überhaupt nur überleben konnten.
Das Bild, das sich gerade in Sebring zeigt, ist höchst spannend. Denn es dreht den Scheinwerfer auch auf ein Dauerthema, das sich auch auf die Rennperformance der Formel 1-Teams auswirkt: Jeder Windkanal ist anders, die Reproduzierbarkeit der theoretisch erarbeiteten Werte auf die Rennstrecken bleibt immer ein Mysterium.
Klingt abstrakt und verwunderlich, ist aber gerade in Florida auf den ersten Blick nachvollziehbar. Denn Porsche und Cadillac treten nicht nur in der Sportwagen-WM an, sondern auch in der nordamerikanischen IMSA-Serie. Mit Autos, die eigentlich baugleich sein sollten. Doch die Homologation der IMSA-Boliden erfolgt nicht bei Sauber, sondern in einem Windkanal der Firma Windshear in Concord im US-Bundesstaat Nordkarolina. Und deswegen sind die Eckdaten der Schwesterwagen eben doch nicht ganz gleich.
Für den maximalen Abtrieb, den ein solcher Langstreckenrenner erzielen darf, und die Stirnfläche gibt es feste Richtwerte. Die allerdings werden je nach Windkanal anders erreicht. Die WM-Modelle müssen deswegen mit einer kleinen Zusatzlippe hinten auf der Karosserie fahren, am Ende der Motorhaube – die höher empor ragt als die Standardvariante an den US-Modellen. Die WM-Wagen weisen also einen etwas höheren Luftwiderstand auf, obwohl die aerodynamische Effizienz – also die Kennzahl für das Verhältnis von Abtrieb zu Luftwiderstand – gleich sein muss.
Das liegt ausschließlich an der Art, wie die Windkanäle konfiguriert sind, wie sie messen und was für Werte sie ausspucken.
Und das wiederum erklärt auch direkt gewisse Leistungsdiskrepanzen der Formel 1-Teams in den Grands Prix: Wer den akkuratesten Windtunnel hat, kriegt das aerodynamisch effizienteste Auto. Und in der Formel 1 verfügt Red Bull über den besten Windkanal. Ferrari hat gerade erst einen ganz neuen in Betrieb genommen. Doch dessen Kalibrierung dauert sehr lange, weil so viele verschiedene Parameter einprogrammiert und in Einklang gebracht werden müssen: die Geschwindigkeit, mit der die Luft eingeblasen wird; die Bewegungen, die der rollende Boden macht, während er unter dem Wagen wie ein rasantes Förderband rotiert; die Sensoren, die an den Autos und im Umfeld die Luftströme und Wirbelschleppen aufnehmen; die Computerprogramme, die daraus Simulationsmodelle nachzeichnen.
Bei Red Bull hat es auch Jahre gedauert, bis der Windkanal auf Topniveau war. Vorher strudelten die Ingenieure sich mit einem älteren Modell in Bedford ab, das inakkurate Werte lieferte.
Es gilt in der Branche als offenes Geheimnis, dass der beste Windkanal bei Toyota Gazoo Racing In Köln-Marsdorf steht. Er stammt noch aus jener Zeit, zu der die Japaner glücklos in der Formel 1 agierten. Nach dem Ausstieg wurde auch im Rheinischen Windkanalzeit frei.
Toyota ist seit Jahren das Maß der Dinge in der Sportwagen-Langstrecken-WM, reiste als Titelverteidiger zum Freitagsrennen in Sebring an. Und die Genauigkeit des Toyota-Windkanals sorgte dafür, dass sich regelmäßig auch Formel 1-Teams in Köln einmieten: Ferrari und McLaren sind oder waren Stammkunden mit den kleinen Modellen ihrer Grand Prix-Boliden.
Die Homologationsarbeit für den Verband ist allerdings lukrativer als die Vermietung an andere Rennteams. Und auch der Windshear-Tunnel in Concord, in dem die IMSA-Sportwagen ihre TÜV-Siegel bekamen, dient mittelbar zur Querfinanzierung eines Grand Prix-Teams: Er gehört zum Firmenimperium von Gene Haas – dem Besitzer jenes Rennstalls, in dem Nico Hülkenberg gerade sein Formel 1-Comeback gibt.