+++ 2024-08-29 19:14 : Blog – warum will niemand Mick Schumacher? +++ 2024-08-18 11:14 : Blog – der unsinnigste Vergleich des Jahres +++ 2024-08-08 17:24 : Podcast – Erinnerungen an Speedwaystar Tommy Dunker. Interview von Norbert Ockenga mit Weggefährte und Rivale André Pollehn +++
BACK

04.05.2023

Miami Preis


Es ist Mittwochnachmittag vorm Grand Prix in Miami, und Lewis Hamilton gibt sich die Ehre. Auf einem öffentlichen Basketballplatz unter einer Brücke über jenes Haff, das die Innenstadt von der Küstenstraße in Miami Beach – mit dem berühmten South Beach – trennt, tänzelt der Mercedes-Fahrer unterm Korb. „Shooting hoops“, so heißen die Korbleger im Fachjargon der NBA, und Hamilton sieht ein bisschen aus wie eine magere Version von Kobe Bryant, dem legendären Spieler der L.A. Lakers, den sie „Die Schwarze Mamba“ nannten.

Hamilton passt in das typisch US-amerikanische Ambiente wie kein zweiter Formel 1-Pilot. Doch nicht nur er fühlt sich in Miami wie zuhause: Bei der erst zweiten Auflage des Grand Prix im Süden Floridas gilt das Stadtrennen schon als neuer Klassiker der Szene. Wegen des Ambiente, wegen der hohen Promidichte, wegen der ganz besonderen Atmosphäre in der ebenso farbenfrohen wie fröhlichen Stadt mit ihrem karibischen Flair auf amerikanischem Fundament.

Die Formel 1 tut so, als hätte sie den Grand Prix von Miami erfunden. Tatsächlich aber hat der Motorsport in zweitgrößten Stadt Floridas eine lange Geschichte. Länger gar als jene der Formel 1-WM selbst.

Die größte Berühmtheit erlangte der Rennsport in Miami in jener Zeit, in der IMSA-Serie im Maurice-A.-Ferré-Park gastierte. Die Lang- und Mittelstreckenserie für Sportprototypen und GT-Fahrzeuge, quasi das nordamerikanische Pendant zur Sportwagen-WM (WEC), startete 1983 zum ersten Mal auf einem 2,98 Kilometer kurzen Stadtkurs im ehemaligen Hafengelände von Miami und dem Biscayne Boulevard, der als U.S. Highway 1 runter in die Everglades und auf die Florida Keys führt. Das Gelände ist zu eine Park ausgebaut und seither mehrfach umgebaut und -getauft wurden. Als die Sportwagen dort fuhren, hieß die Anlage noch Bicentennial Park. Das erste Rennen war ein Fiasko: Ein Tropenrennen erzwang einen Abbruch nach einem Sechstel der Distanz. Der Veranstalter zahlte dennoch auf freiwilliger Basis das volle Preisgeld aus – und handelte sich so einen Verlust von 1,3 Millionen Dollar ein.

Doch Rafael Sanchez konnte sich das leisten. Der auf Kuba Geborene, der als Zehnjähriger auf Geheiß seiner Schule nach der Kubanischen Revolution Flugblätter für die Opposition gegen Fidel Castro verteilen musste, wurde von seinen Eltern zu Onkel und Tante nach Florida ausgeflogen. Castro und seine Schergen hatten damit begonnen, die Kinder der Konterrevolution gnadenlos zu verfolgen und in Haft zu stecken. Als 13-Jähriger landete er in Miami, zunächst bei seinen Verwandten, später in einem Waisenhaus, und machte danach als Land- und Immobilienprojektentwickler schnell ein Vermögen.

Nebenbei verdingt er sich schon früh als Rennsportveranstalter. Den Verlust vom ersten Sportwagen-Grand Prix schüttelt er quasi aus dem Ärmel, in den Jahren danach gehen Bilder von Sportprototypen wie Porsche 962C, Nissan GTP, Jaguar XJR-5 und -10 auf dem pittoresken Stadtkurs um die Welt, das Rennen ist bis 1993 ein Event mit Feelgood-Faktor. Auch wenn die Politiker und Einwohner sich von Anfang an dagegen gewehrt haben.

Sanchez wird schließlich die Ovalrennstrecke von Homesteadt, südlich von Miami in Richtung der Everglades gelegen, aufbauen – eine neue Heimat für die IMSA, aber auch für die IndyCar, das nordamerikanische Pendant zur Formel 1.

Damit schließt sich ein Kreis. Denn die erste Rennstrecke in Miami ist nicht der Stadtkurs für die Goldene Ära des Sportwagensports – sondern ein gewaltiges Oval. Carl Fisher, der das Oval von Indianapolis gebaut hat, ließ in Fulford, dem heutigen North Miami Beach, ein Oval auf Holzplanken bauen – mit Steilkurven, die 50 Grad überhöht waren. Man musste mindestens 180 km/h fahren, um auf dem glatten Holz nicht einfach runterzurutschen.

Fisher wollte mit der Auto- und Rennsportszene einem Trend folgen, den die normalen Amerikaner damals schon pflegten – wie heute noch: Im Winter migrieren sie wie Zugvögel aus den kalten Nordstaaten in den Süden, nach Florida oder Texas, um die kalte Jahreszeit in milder Witterung zu überdauern. Die Autoindustrie sollte in Fulford testen und rennen können, wenn das in Indy – vier Autostunden südlich von Chicago – wegen des Winterwetters nicht möglich ist. Doch nach nur einem Rennen legt der Great Miami Hurricane die Anlage 1926 in Trümmern.

Die Saat des Motorsports in der Region aber ist gesät. Sie findet mit den IMSA-Klassikern ihre Fortsetzung, von 1985 steigt vier Jahre lang zusätzlich das Saisonfinale der C.A.R.T.-Serie – so hießen damals die IndyCars – im Tamiami Park statt.

Die Formel 1 hat sich also mit dem neuen Grand Prix quasi in ein gemachtes Nest gesetzt. Miami ist kein neuer Markt wie etwa die Großen Preise von Bahrein, den anderen Nahostorten oder Singapur – sondern das Aufsetzen auf eine große Motorsporttradition wie etwa in Japan oder Australien. So ist es denn kein Wunder, dass Miami von Anfang an zu einem Highlight im Kalender avanciert ist.


Teile diesen Beitrag

Das könnte auch interessant sein:

  • 09.07.2025

    Es geht wieder los

    So, hier ist es – das so heiß ersehnte Inhaltsverzeichnis der neuen Ausgabe von PITWALK. Deutschlands größte Motorsportzeitschrift wartet dieses Mal mit ganz besonderem Content auf…
  • 07.07.2025

    Umgefragt und viel gelernt

    Hallo liebe PITWALK-Freund, es ist endlich wieder soweit: Die neue Ausgabe Ihrer Lieblingszeitschrift ist heute in Druck gegangen. Wir haben uns dieses Mal extra ein bisschen mehr…
  • 05.07.2025

    Reif für die britische Insel

    Hin und wieder kann man direkt neidisch werden. Da verschicken in Porsche und BMW zwei deutsche Premiumhersteller kurz vorm Wochenende offizielle Pressemitteilungen, in denen sie a…
  • 29.06.2025

    PITWALK braucht Eure Hilfe

    Hallo lieber PITWALK-Freund, wir haben den Erscheinungstag der neuen Ausgabe etwas verschoben, weil wir uns aufgrund der Ereignisse bei den 24-Stundenrennen dazu entschieden haben…
  • 27.06.2025

    Appell für mehr Menschlichkeit

    Fr., 27. Juni um 12:36 Zwei Stunden Schlaf mussten reichen. Mehr war nicht drin für Uwe Kleen, den Chef des Toyota-GT4-Teams Ring Racing, nach dem 24-Stundenrennen auf dem Nürburgr…
  • 13.06.2025

    Sackgasse Le Mans

    Der Blick zurück ins Jahr 1991 zeigt: Michael Schumacher hat die schnellste Rennrunde gefahren – in Le Mans, beim 24-Stundenrennen in Westfrankreich. Damals ist der spätere Dauerwe…
  • 16.04.2025

    McLaren lacht sich kaputt

    McLaren-Teamchef Zak Brown kommt dieser Tage aus dem Lachen gar nicht mehr raus. Dem beleibten Kalifornier gelingt das, was einst der Traum des vorigen McLaren-Chefs und -Minderhei…
  • 11.04.2025

    Tränen bei BMW

    Es fließen viele Tränen dieser Tage in München. BMW hat eine Sammlung von historischen Autos, sowohl Serien- als auch Rennwagen. Doch im Zuge des allgemeinen Kostendrucks in der Au…
  • 03.04.2025

    Von Ast und Säge

    Man muss sich schon wundern, wes Geistes Kind manche Leute sind. Etwa am Montag, bei einer Fahrveranstaltung von Dacia in Lünen, als ein Kollege, der sich mit Autotests befasst, in…
  • 25.03.2025

    Formel 1 und mehr

    Die neue Ausgabe der Zeitschrift PITWALK unterstreicht ein Mal mehr, warum das Magazin von Eurosport-Kommentator Norbert Ockenga und seinem Team die Nummer 1 unter den deutschen Mo…
  • 21.03.2025

    Verflucht und zugenäht

    Vielleicht wäre es an der Zeit, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Denn bereits seit dem vergangenen Jahr macht der Automobilweltverband FIA einen Nebenkriegsschauplatz auf – …
  • 13.03.2025

    British Racing Days

    Mit dem Formel 1-Saisonauftakt ist es irgendwie wie mit Weihnachten: Man weiß genau, wann er ist – aber er kommt dann doch immer viel zu schnell und hopplahopp. Den Teams gehen auc…
2025 – BILD-PUNKTE LAREUS.MEDIA