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21.08.2024

Ist Handball gleich Fußball?


Manche Fässer hätte man am besten gar nicht erst aufgemacht. Kurz vor Ende der Formel 1-Sommerpause lässt sich Kyle Larson, ein 32-jähriger US-Rennfahrer aus Kalifornien, mit den Worten zitieren, er sei in den meisten Rennautos schneller als Max Verstappen. Vielleicht nicht in einem Formel 1, fügte er hinzu, aber in allen anderen Wagen sehr wohl.

Larson ist im Hauptberuf NASCAR-Fahrer, also in einer Tourenwagenserie mit großvolumigen V8-Dickschiffen unterwegs. Hin und wieder taucht er in der IndyCar-Serie auf. Das war früher mal das US-amerikanische Pendant zur Formel 1, ist aber inzwischen ein Markenpokal mit Einheitsautos – und einem Hybridsystem, das gerade erst nach einer denkbar holprigen Phase eingeführt worden ist. Die erste Version, die Mahle entwickelt hat, funktionierte nicht, also haben die Amis es kurzerhand selbst in Hand genommen, mit Kondensatoren als Speichermedien und nicht wie in allen anderen Serien und in Straßenautos mit Akkus. Und er fährt regelmäßig Sprint Cars – eine US-typische Rennszene mit enorm leistungsstarken und leistungsgewaltigen Prototypen, die fahrerisch enorm anspruchsvoll zu bändigen sind; wahrscheinlich heikler als NASCAR und IndyCar zusammen, auch wenn man die Sprint Car-Szene in Europa völlig unterschätzt.

In allen nordamerikanischen Disziplinen ist Larson ein Meister seines Fachs, wahrscheinlich der derzeit versatilste VIelseitigkeitsfahrer des aktuellen Motorsports. Nur: Nichts von dem, was Larson fährt, lässt sich mit der Formel 1 vergleichen.

Und klar ist: Einem Max Verstappen könnte selbst Kyle Larson nicht das Wasser reichen.

Man sieht das immer wieder: Wenn Formel 1-Fahrer für die Königsklasse zu alt werden oder sich als zu langsam erwiesen haben, dann finden sie in anderen Rennserien auf Anhieb einen Platz an der absoluten Spitze. Sei es in der IndyCar, sei es in Le Mans-Sportwagen oder in Tourenwagen. Nur in der NASCAR nicht, denn diese fast nur auf Ovalen ausgetragene Serie ist dem Wesen nach völlig anders. Vielleicht so weit auseinander wie Speedway und die MotoGP.

Ist Bartosz Zmarzlik ein besserer Motorradfahrer als Valentino Rossi? Der Vergleich ist so unsinnig wie die Frage, ob Franz Beckenbauer oder Yuri Knorr besser mit einem Ball umgehen kann. Oder ob Larson oder Verstappen der bessere Autofahrer ist.

Die Formel 1 stellt besondere Anforderungen. Zum einen bei der reinen Fahrzeugbeherrschung. Der aerodynamische Anpressdruck ist höher als in allen anderen Serien, die Aufhängungen härter, die Motorcharakteristik spitzer und schärfer. Selbst mit den heutigen schlechten Pirelli-Reifen ist ein Formel 1 anspruchsvoller zu fahren als jedes andere Auto. Das Zusammenspiel aus Beschleunigen und Kurventempi, vor allem aber die ultrakurzen Bremswege und die megadirekte Reaktion des Wagens auf Lenkbewegungen – nirgends geht es derart aggressiv zu wie in einem Grand Prix-Boliden. Die hohe Kunst besteht nicht im schnellen Geradeausfahren – sondern darin, so spät und so hart wie möglich zu bremsen und dabei den Pedaldruck sukzessive so zu reduzieren, dass das Auto maximal verzögert, auch beim Einlenken noch, ohne in ein Untersteuern zu schlittern. Denn das vernichtet Zeit. Ein Formel 1-Star schafft es Runde um Runde, auf den Bruchteil von Zentimetern jede Kurve genau an der gleichen Stelle anzubremsen und dann haargenau auf dieselben Quadratzentimeter Ideallinie zu lenken und zu halten. Diese Präzision bei höchster Geschwindigkeit und in einem Auto, das stets an der Grenze zum Abflug fährt, ist in keiner anderen Rennserie in dieser extremen Ausprägung gefragt.

IndyCars haben im Ovaltrimm eine höhere Endgeschwindigkeit als ein Formel 1. NASCAR-Wagen sind träger, man muss in ihnen den Fahrtwind spüren, der seitlich an ihnen vorbeiströmt, und dabei im dichten Pulk im Millimeterabstand fahren. Rallyefahrer tanzen mit ihren Autos im Grenzbereich und spüren dabei, wie sich der Grip unter ihren Reifen ändert. Sie reagieren darauf binnen Zehntelsekundenbruchteilen und bringen ein Auto, das mehr schwebt als fährt, artistisch wieder auf Kurs.

Rallyepiloten sind wahrscheinlich in Sachen reiner Fahrzeugbeherrschung die besten Autofahrer der Welt. Walter Röhrl ist der wohl der beste von allen, über die Jahrzehnte hinweg. Aus eigener Erfahrung berichtet: Niemand vermittelt seinem Beifahrer – in einem Rennwagen auf einer Rennstrecke, nicht einem Straßenauto – ein derart hohes Gefühl von Sicherheit im absoluten Grenzbereich wie der Lange aus Regensburg. Drum hat Röhrl nicht nur die Rallye-WM geprägt, sondern war auch in der Gruppe C-Sportwagenszene, den alten Gruppe 5-Tourenwagen und der Ur-DTM sowie im US-Sport schnell, solange der nicht im Oval stattfand. Sébastien Loeb, von vielen als Erb- und Thronfolger Rohrs gehandelt, hat trotz mehr WM-Titels in der Rallye nicht mal den Sprung zum erfolgreichen Tourenwagenfahrer geschafft.

In der Formel 1 hat Röhrl sich nie versucht, wohl aber Colin McRae, ein ähnlicher Virtuose und Instinkfahrer wie Röhrl, aber mehr Vollgastier als der Bayer. Und als McRae den Jordan von Martin Brundle fuhr, da war er rasch auf jenem Niveau, auf dem auch sehr gute Nachwuchsfahrer nach einer vergleichbaren Einstandszeit landen. Das zeigt: Der Schotte, der inzwischen bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen ist, hätte fahrerisch das Zeug für die Formel 1 gehabt.

Aber die harte Arbeit, die in der Ersten Liga vonnöten ist, hat ihn nie gereizt. In der Formel 1 sind mehr und längere Technikbesprechungen nötig als überall sonst. Kommt ein Ex-Grand Prix-Fahrer in einem Team einer anderen Serie an, so sind die Ingenieure stets überrascht, wie konkret und gleichzeitig kurz und präzise er im Vergleich zu anderen Rennfahrern seine Eindrücke vom Auto so auf den Punkt bringen und erklären kann, dass die Ingenieure diese Aussagen treffsicher in technische Weiterentwicklung und Abstimmungsarbeit umsetzen können. Das ist eine Kunst, die so nur in der Formel 1 erlernt wird – und die dort für den Erfolg so wichtig ist wie das besagte Bremsen. Auffassungsgabe und schnelles Lernvermögen sind in der Formel 1 immens wichtig.

In allen anderen Serien sind die technischen Zusammenhänge und die Anzahl der einzelnen Bauteile und Parameter längst nicht so zahlreich und komplex. Auch nicht in Larsons US-Sport.

Deswegen sind die Aussagen des Kaliforniers so sinnvoll wie die Frage, ob ein Robomäher oder ein Robosauger besser sei.


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