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30.04.2024

Ehre und Ämter


Onkel Joki ist tot. Und mit der Todesanzeige kamen alte Erinnerungen zurück. An eine Zeit, als Johann Hinrichs – Onkel Jogi – Jugendwart beim Boßelverein „Lütje Holt“ Westerende war. Er hat die Kinder damals mit dem Klassiker zum Friesensport gelockt und dann jede Woche aufs Neue zum Training motiviert: mit Malzbier und Frikadelle auf Verienskoste im „Fahlster Krug“ direkt am Anwurf der damaligen Boßelstrecke.

Die Leidenschaft des Extumers für den Sport zieht sich über seine Zeit auf Erden hinaus: In der Anzeige bittet die Familie darum, auf seinen Wunsch hin auf Kränze und Gestecke zu verstecken – und stattdessen an die Jugendabteilung von „Lütje Holt“ zu spenden.

Das ist nicht nur rührend, sondern auch eine oftmals nötige Erinnerung. Ohne das Ehrenamt geht im Sport nichts. Das vergisst man nur zu gern mal, wenn man sich ausschließlich mit der hochprofessionellen Geldmaschine Formel 1 beschäftigt. Oder auch mit der Fußball-Bundesliga und Champions’ League. Doch selbst im absoluten Profimotorsport ist das Ehrenamt Fundament und Rückgrat zugleich. Zwar operieren die Teams mit hunderten von Millionen als Etat und mit mehr als 800 Leuten Belegschaft. Doch wenn man ein Rennen veranstaltet, dann braucht man Ehrenamtler. Nicht zuletzt die Sportwarte, die entlang der Strecke die Warnfahnen schwenken, auf Deutsch oft fälschlich „Streckenposten“ genannt. Dabei ist ein Streckenposten tatsächlich der Ort, an dem die Sportwarte platziert werden. Auf Englisch und in Amerika heißen sie „Marshals“ oder „Corner Worker“. Wie auch immer: Alle von ihnen sind ehrenamtlich tätig, kriegen von den Veranstaltern nur ein Fresspaket und eine kleine Aufwandsentschädigung; diese Aufmerksamkeiten sind aber nicht ihre Triebfeder, sondern die schiere Lust am Motorsport; nah’ dran sein zu können am Geschehen, auch mal Hand an ein Auto oder Rennmotorrad legen zu dürfen oder mit den Fahrern einen kurzen Schwatz halten zu können.

Jedes Rennen funktioniert als Veranstaltung nur, wenn viele freiwillige Helfer hinter den Kulissen dafür sorgen, dass alle Rädchen ineinander greifen. Das gilt für den Störtebeker-Pokal des Speedway in Halbemond am Pfingstsonntag genauso wie für jeden Boßelverein und für die großen Profisportveranstaltungen, sogar in den Staaten: Miami an diesem Wochenende, das Indy 500 im „Month of May“ – wo man die Ehrenamtler an ihren knallgelben Fleece- oder Poloshirts schon von weitem erkennen kann.

In Miami verdaut die Formel 1 gerade ihr eigenes Wachstum. Der Grand Prix am Südzipfel Floridas ist einer der neuen Glitzer- und Glamourhöhepunkte des Jahres. Promis geben sich die Klinke in die Hand, es regieren Luxus und Überfluss, die gebratenen Tauben fliegen so tief wie über Jahre hinweg nur in Monaco. Inzwischen hat die Königsklasse vier solche Paradiesvogel-Events: Neben Monte Carlo und Miami auch noch Singapur und Las Vegas; die großen Preise in den Nahost-Millionenmetropolen Abu Dhabi und Katar, vor allem aber Saudi-Arabien zählen eigentlich auch noch in diese Kategorie.
Aber selbst hinter dem Grand Prix von Monaco steht ein Motorsportverein, der auf freiwillige Helfer angewiesen ist. Für Sportwarte gibt es eigene Klubs; Zusammenschlüsse der Enthusiasten, in denen es um das gemeinsame Erleben der Faszination Motorsport mindestens ebenso ankommt wie auf die harten Werte des Rennsports: Hinter jeder Veranstaltung steht immer auch der Sport als soziales Erlebnis, die Gemeinsamkeit, die auf einem gleichen Interesse für alle fußt.
Darin unterscheidet sich das Millionenbusiness Formel 1 nicht sehr von einem lokalen Sportverein in der Kreisklasse. Nur: Die Wertschätzung für die Ehrenämter – die fehlt im Profibusiness.

Gerade in der heutigen Zeit, wo es um Verfehlungen eines Teamchefs auf Dauerbalz ebenso geht wie um millionenschwere Wanderungen von Top-Ingenieuren von einem Rennstall zum anderen, um Abwerbeversuche und ein Menschenschach um Fahrer und Techniker geht: Die Formel 1 war noch nie so sehr kalter, gefühlloser Turbokapitalismus wie gerade jetzt.
Das ist auch eine Folge der Höchstetats, die für alle Teams verbindlich sind – und die eigentlich eingeführt wurden, um die Riesenausgaben von Budgets, die über den Kennzahlen von mittelständischen Wirtschaftsunternehmen liegen, zu unterbinden. Doch wie fast jede Maßnahme, die der Serie von Regelhütern übergestülpt wird, hat auch das „Budget Cap“ eine Kehrseite: Jeder versucht, sie zu umgehen und gleichzeitig innerhalb der erlaubten Summen die bestmögliche Belegschaft zusammenzukaufen. Ferrari hat mit einem offensiven Abwerbeversuch in Baku 2023 mit einer nie gekannten Personalschlacht begonnen. Die Spirale hat sich im Laufe der letzten 11 Monate immer schneller gedreht. Auch weil Audi inzwischen mitbietet, sich neben Nico Hülkenberg auch Carlos Sainz sichern möchte – und weil neben den vielen Technikern aus der zweiten Reihe nun auch Adrian Newey in den Poker mit einsteigt. Das Superhirn von Red Bull hat sich gerade bei Oyster, einer englischen Nobelwerft, eine hochseetaugliche Segeljacht in Auftrag gegeben. Für ein Jahr, das er frei machen muss, wenn er bei Red Bull kündigt. Denn ein nahtloser Anschlussvertrag bei einem neuen Team ist für Topingenieure nicht möglich, es gibt immer ein Jahr Berufsverbot – „Gardening Leave“ auf Englisch. Newey geht auf Sailing Leave, denn er verbringt ohnehin schon viel Zeit in Südafrika – der Heimat seiner Gattin Amanda, die vor ihrer Zeit als Marketingexpertin England eine Top-Leistungsschwimmerin war. Jetzt gehen die beiden Wasserratten auf Hochseetörn, womöglich eine Erdumseglung, ehe Newey dann einen Job nach Red Bull antreten kann.

Bei den Summen, die rund um solche Personalien im Spiel sind, vergisst man schnell Werte wie jene, die Onkel Joki einem vorgelebt hat. Drum tut es ganz gut, auch als Formel 1-Insider mal auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt zu werden. Denn viel zu oft dreht sich die Welt im inneren Kreis, hinter den Drehkreuzen am Fahrerlagereingang, nur um die ganz eigenen Gesetze eines Mikrokosmos von Millionen und Millisekunden.


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