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31.07.2024

Der Wonderboy ist tot

Text: Norbert Ockenga


Es ist genau die Nachricht, die alle Hoffnung zunichte macht. Tommy Dunker lebt nicht mehr. Der Schleswig-Holsteiner verstarb bereits am 4. Juli. Doch die Familie hielt die Todesnachricht bis Dienstag dieser Woche unter der Decke, weil erst die Beerdigung im engsten Familienkreis stattfinden sollte.

Neu ist die Meldung nicht, sondern sie ist vielmehr die Grundlage für die etwas kryptische Formulierung über den Todesfall in der Familie von Norick Blödorn, die bereits im Livestream von Discovery plus beim Finale des Speedway der Nationen 2024 aus Manchester zu hören war. Der Tod von Dunker war damals schon durchgedrungen, doch es war auch Ehrensache, dem Wunsch der Hinterbliebenen nach Verschwiegenheit nachzukommen.

Schon seinerzeit ging der Griff ins Regal mit alten Fotoalben. Denn als Dunker fuhr, machte man seine Bilder noch mit einer Kamera, in die man einen Film einlegen musste; die Papierabzüge jener Zeit verraten heute wieder, wie hoch der Blondschopf aus Schleswig-Holstein damals im Ansehen stand: Er war der Wunderknabe und Hoffnungsträger des deutschen Speedwaysports; der legitime Nachfolger von Egon Müller, dem Weltmeister von 1983.

Zugegeben, das Bild oben, das aus besagtem privaten Album stammt, ist nicht sehr gut. Aber dafür ist es authentisch, aufgenommen noch aus der Fan- und Dreikäsehochperspektive beim Viertelfinale der Speedway-Einzel-WM 1988 im Motodrom Halbemond vor den Toren der ostfriesischen Kleinstadt. Die Veranstaltung hatte Ikonen wie Gerd Riss – noch mit Schnäuzer – oder Karli Maier und Bernt Traunspurger, aber auch ausländische Ikonen wie Heinrich Schatzer, Zoltan Haydu, Antal Kosco, Zdenek Schneiderwind und Vaclav Milik im Feld.

Von Dunker gibt es nur diese eine Bild, es zeigt ihn mit seinen Eltern auf den riesigen Steintribünen in Deutschlands größtem Speedwaystadion. Näher ran hat man sich als junger Fan damals nicht getraut. Denn Dunker umwehte damals schon der Mythos des angehenden Superstars. Da wollte man ihn nicht in seiner Vorbereitung und bei der Rennumsetzung stören. Dunker war der junge Held, zu dem alle noch jüngeren Fans aufschauten; ein Idol, dem man in einer Mischung aus Respekt, Bewunderung und Staunen begegnete.

Für einen Jungen aus Ostfriesland, der damals noch nicht ahnt, dass er den Motorsport mal als Journalist, Verleger und Fernsehkommentator zu seinem Traumberuf machen wird, steht Dunker auf einer Stufe mit Stefan Bellof – jenem legendären Formel 1-Fahrer aus Gießen, der wenige Jahre zuvor als frischgebackener Ferrari-Werksfahrer bei einem Langstreckenrennen in Spa tödlich verunglückt ist. Dunker und Bellof, der unvergessen bleibt, eint – aus der Fanperspektive schauend – ihr scheinbar unerschütterliches sonniges Gemüt, ihre mitreißende Art und natürlich ihre absolute Ausnahmeklasse in ihrer jeweiligen Motorsportsparte.

DIe Erfolge und die zeitlichen Abfolgen von Dunkers Laufbahn kann man nachlesen, sie spielen hier nur eine Nebenrolle: 1987 mit gerade mal 18 schon Deutscher Speedwaymeister, 1997 noch mal Langbahnweltmeister, dazwischen polnische Erste Liga mit Oppeln in Schlesien, Bundesliga beim MC Norden, auch dänische Liga, strahlender Stern bei unzähligen offenen Rennen auf allen möglichen Bahnen. Wo immer man im Nordwesten ein Rennen besuchte – Dunker war da, ein Leuchtturm, der aus der Masse der anderen Fahrer ragte, ohne dabei Allüren an den Tag zu legen. Ein norddeutscher Jung' als Ausnahmekönner und -persönlichkeit.

Aber auch: schwere persönliche Probleme, zu viel Alkohol, schließlich ein Absturz, der ihn sogar auf den Straßen Hamburgs stranden lässt. Eine menschliche Tragödie. Das Leben, das ihm entglitten ist, zwingt ihn 1998 zum Aufhören mit dem Bahnsport.

Man muss sich dafür vor Augen halten: Die Zeit war damals eine andere, der Bahnsport auch. In der Musikgeschichte spricht man rückblickend aus gutem Grund von der „Dekade der Dekadenz“; vieles war wilder, manches aus heutiger Sicht beinahe unvorstell- und -denkbar. Auch von dem, was neben der Bahn passierte.

Die Erinnerung ist unterschwellig immer da gewesen, jetzt bricht sie sich ihre Bahn: Augenblicke im altmodischen Wohnzimmer von Franz Arens, dem langjährigen Ersten Vorsitzenden und Alleinherrscher beim MC Norden, Jahre später schon, als die Journalisten- und Vereinslaufbahn gerade begonnen hat. Mit traurigem Blick zieht der Funktionär, der das Motodrom Halbemond quasi im Alleingang realisiert hat, einen Artikel aus der „Bild am Sonntag“ hervor: „Korn für Korn immer vorn“. Unter dieser zugegeben bösen Schlagzeile geht es um das immer wieder vorkommende Über-die-Stränge-Schlagen von Dunker, aber auch von anderen Fahrern aus seinem direkten Umfeld.

Arens hat den Artikel archiviert wie so vieles. Denn der Norder war ein vorbildlicher Beamter, auch im Privaten und als Vereinsvorstand. Er hat ihn aber auch im Kopf archiviert, genau wie die Reaktion darauf: Heftig angefeindet sei er worden, weil er die Infos an die BamS-Reporter lanciert hätte; das könne er auch verstehen und verdauen. Aber man merkt seine Traurigkeit – schließlich, versichert er, hätte er mit dem Artikel ein größeres Ziel verfolgt: nicht zu diffamieren, sondern die Betroffenen aufzurütteln und mit brutaler Ehrlichkeit aus der Spirale rauszuholen.

Es ist dieselbe Absicht, die hinter jener Weisheit steckt, die man Angehörigen von Suchtkranken immer wieder rät: Man müsse sie erst fallenlassen, damit sie in der Realität ankommen und die Wende aktiv einläuten. Arens hat genau dazu seinen Teil beitragen wollen – und dafür den Zorn ganz bewusst in Kauf genommen.

Es hat nichts geholfen, Dunker hat sich letztlich doch nicht fangen können.

Gerade erst ist Dunker einem wiederbegegnet, weil Norick Blödorn sich in ebenfalls jungen Jahren auf dem internationalen Parkett beweist. Der 20-Jährige ist Neffe von Dunker. In einer Personality Story über Blödorn für die gerade aktuelle Ausgabe der Zeitschrift PITWALK https://shop.pitwalk.de/magazin/121/ausgabe-78?c=6 kommen auch genau diese Verwandtschaftsverhältnisse zur Sprache, ebenso wie auch der Einfluss von Dunker auf Blödorns eigene Karriere. Es sind erstaunliche Einblicke und Zusammenhänge, die Blödorn dort offenbart, und es begegnen einem einige alte Bekannte im Text. Nicht nur Tommy Dunker.

Bei den Gesprächen mit Blödorn für die PITWALK-Geschichte fiel das Thema natürlich auch auf das Schicksal von Dunker. Der sei inzwischen wieder in Neumünster zuhause; es gab auch Einblicke in seinen Gesundheitszustand. Man konnte heraushören, dass es wieder aufwärts zu gehen schien, wenn auch die Lebenskrise offenbar nicht ganz überwunden war.

Oder wollte man das nur so interpretieren? Weil die Hoffnung immer noch glimmte? Bei Blödorn, dass sein Onkel wieder gesund werde? Und beim Journalisten, dass das Idol der eigenen Kindheit und Jugend doch noch die Kurve kriegen könnte?

Genau wie es immer der Wunsch war, Dunker eines Tages doch noch treffen zu dürfen – und eine einfühlsame Geschichte mit Happy End schreiben zu können?

PITWALK wird Dunker nun auf andere Weise in Ehren halten; mehr dazu später im Jahr, natürlich nach Abstimmung mit der Familie. Und der Mythos des blonden Wunderknaben wird die Zeit überdauern, genau wie jener von Stefan Bellof.

Tommy Dunker wurde gerade mal 55 Jahre alt.


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