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20.04.2024

Chinesische Trauer


Was für ein Unterschied. Plötzlich platzt selbst die Rennstrecke in Schanghai aus allen Nähten. Am Freitag schon, als nur Trainings stattfanden, waren die Tribünen weitgehend besetzt. Bei der Rückkehr ins Reich der Mitte nach der Coronazwangspause haben sich die Vorzeichen drastisch geändert: In Guanyu Zhou gibt es erstmals einen Chinesen, der in der Ersten Liga mitfährt.

Gut, früher gab’s mal Ho Pin Tung. Aber der heute 41-Jährige kommt gebürtig aus Velp im niederländischen Gelderland, seine Eltern stammen aus China, doch er selbst ist in Holland vollständig assimiliert und mehrsprachig aufgewachsen. Er fuhr mit chinesischer Lizenz, was BMW gern ausgenutzt hat, einen Chinesen in seinen Wagen zu setzen. Denn China war schon damals ein Riesenmarkt für deutsche Autohersteller. BMW wollte den Markt aufrollen und nutzte die Tests von Ho Pin Tung für PR-Zwecke im Fernen Osten.

Der Nachwuchsfahrer war nur ein rollendes Alibi für die Marketingabteilung, er hatte nie eine reelle Chance auf eine Grand Prix-Saison – und hatte die auch nicht verdient. BMW hat anno 2007 bloß mit den Hoffnungen des jungen Mannes gespielt, aus reinem Kalkül.

Ironie der Geschichte: Zhou fährt nun in jenem Team, das aus Sauber-BMW hervorgegangen ist. Und er auch nicht sonderlich Formel 1-tauglicher als Ho Pin Tung. Zwar hat der Sauber-Pilot seine Grundausbildung beim Team Motopark absolviert – jenem Team von Timo Rumpfkeil aus der Magdeburger Börse, das als der beste Nachwuchsformelrennstall Europas gilt. Doch der Chinese ist einer der vielen guten Absolventen von Aufsteigerformeln, denen der letzte Schritt an die absolute Spitze nicht gelingt, weil ihnen dafür nicht mehr das Talent langt.

Das hält Zhou nicht davon ab, sich Hoffnungen auf eine Formel 1-Zukunft zu machen. Aus denselben Gründen wie einst Tung: Er spitzt auf einen Platz bei Audi, wenn – oder besser: sofern – die Ingolstädter 2026 als Käufer von Sauber in die Königsklasse einsteigen. Denn auch Audi gehört zu jenen Herstellern, für welche der chinesische Markt wirtschaftlich überlebenswichtig ist. Also hofft Zhou, dass Audi ihn aus Marketinggründen weiterbeschäftigt.

Wenn Audi kommt, ist das nicht realistisch. Denn die Bayern brauchen Topfahrer – und am besten einen davon noch aus Deutschland. Deswegen ködern sie Carlos Sainz jr. und Nicolas Hülkenberg. Zhou kann und darf in ihren Überlegungen nicht vorkommen, sollten sie es mit der Formel 1 wirklich ernst meinen.

Das ist zwar noch längst nicht raus. Aber trotzdem entbehrt die Konstellation nicht einer gewissen Pikanterie: Die deutschen Hersteller haben den chinesischen Markt zwar in der Tat seit etwa den Nullerjahren für sich erobert und aus ihrer Begeisterung, ja ihrem Stolz, darüber, auch nie einen Hehl gemacht. Doch dabei haben sie außer Acht gelassen, dass die chinesischen Machthaber ihre eigene Wirtschaft stärken wollten. Drum haben die Importe deutscher Luxusautos direkt dafür gesorgt, dass die Deutschen sich nun ihre eigene Konkurrenz herausgezüchtet haben. Die Markt- und Kommunikationsoffensive in China hat den dortigen Einheimischen förmlich eine Einladung geschickt, sich die Technik und die Ingenieurleistung genau an- und abzugucken.

Jetzt haben sie den Salat: Inzwischen sind die Chinesen imstande, technisch hochwertige Autos zu günstigeren Preisen zu bauen und zu verkaufen als die Deutschen. E-Autos, aber auch welche mit normalem Antrieb; letztere werden in der allgemeinen Wahrnehmung der China-Marken nur totgeschwiegen, um die Blamage nicht zu offensichtlich werden zu lassen.

In Lynk & Co. gibt es sogar die erste Automarke aus dem Reich der Mitte, die im Tourenwagensport erfolgreicher ist als Deutsche, Spanier, Japaner und Südkoreaner zusammen. Und in der WTCR-Klasse für kleine Fronttriebler kommen klassischer Verbrenner mit Turbomotoren zum Einsatz. Der Aufstieg von Link & Co., der schon fünf Jahre dauert, ist ein Menetekel für die Malaise der westlichen Autowirtschaft, insbesondere der deutschen. Und die Geschichte wiederholt sich dabei sogar: Die japanischen Marken sind von der Westindustrie auch lange belächelt worden; inzwischen ist Toyota der größte Hersteller der Welt, der VAG-Konzern rennt vergebens dagegen an.

Bernie Ecclestone hat China die Formel 1 förmlich übergestülpt. Im ersten Jahr wurden Schulklassen gleich busweise an die Strecke gekarrt und auf die Tribünen zwangsgesetzt, in den Augen der Kleinen spiegelte sich das blanke Entsetzen über den Höllenlärm der V10 wider. Zhou hat die Formel 1 in der chinesischen Mitte ankommen lassen, auch ohne heimische Hersteller. Denn die Identifikation geht auch im Motorsport immer über Helden, nie über die Marken – auch wenn die deutschen Hersteller, allen voran Mercedes und Audi, das immer anders sehen. Realistisch betrachtet: Jeder weiß, dass Egon Müller in Halbmond Speedwayweltmeister wurde – aber mit was für einem Motor? Und in welchen Autos holte Michael Schumacher seine ersten Titel? Ferrari, seine zweite Heimat, ist da eine Ausnahme. Aber generell sind immer Menschen die Stars – nie die Produkte. Deren Image kann man über den Motorsport zwar blendend emotional aufladen – aber echte Legenden sind stets die Menschen.

Zhou ist in China eine Ikone. Aber selbst er schafft es nicht, den absoluten Größenwahn der Formel 1 zu befriedigen. Auch dieses Jahr muss die Tribüne in der Schneckenkurve vollständig mit Planen abgedeckt werden. Ein alter Trick in China, wenn man vermeiden möchte, dass leere Sitze vorwurfsvoll in die Fernsehkameras gähnen. Eine zweite Tribüne, die im weiteren Verlauf der Startkurve stand, musste sogar ganz abgebrochen werden. Denn die Formel 1 war zu unersättlich, als sie China erschließen wollte. Dem Gigantismus der Riesenanlage in den Sümpfen vor der Millionenmetropole könnte nur ein chinesischer Weltmeister gerecht werden.

Aber der ist weit und breit nicht in Sicht.


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