12.05.2017
Gegen Ende der vergangenen Saison saß ich irgendwann mal in Ruhe mit einem leitenden Ingenieur mit Formel 1-Background zusammen. Wir unterhielten uns über die Lage der Königsklasse – und über die von Ferrari ganz besonders.
Die Quintessenz des Gesprächs war: „Wenn die so weitermachen, wird das auf lange Zeit nichts.“
Das hat sich inzwischen als Irrtum erwiesen: Sebastian Vettel kann Mercedes tatsächlich die Stirn bieten – wenn die Schwaben sich ein bisschen paddelig anstellen und bei der Strategie und der Rennumsetzung Nachlässigkeiten zulassen.
Barcelona ist der Lackmustest für Ferrari. Jetzt wird sich zeigen, wie gut sie wirklich sind. Denn es ist die erste echte Rennstrecke nach altem Schrot und Korn im Kalender. In Bahrein ist der aus Wales stammende Asphalt sehr rau, in Schanghai ist der Teer extrem glatt; beide Male stellt das die Bereifung vor außerordentliche Belastungen. Und Melbourne sowie Sotschi haben als nicht-permanente Rennstrecken sowie ihre ganz eigenen geringeren Haftbeiwerte.
Die zwar atmosphärisch langweilige, aber fahrerisch und technisch anspruchsvolle Rennstrecke am Rande der Müllkippen von Granollers an diesem Wochenende wird zeigen, was Ferrari wirklich gekonnt hat: Liegt es nur an dem besseren Reifenmanagement bei außergewöhnlichen Umständen – oder ist der runderneuerte Motor wirklich der Riesenschritt nach vorn, der die Roten auf Augenhöhe mit Mercedes gebracht hat?
Die Reifenfrage ist ebenso elementar wie kritisch. Denn kein Team hat in der Vorbereitung auf das neue Regelwerk, das ab diesem Jahr gilt, so viele Testkilometer mit den neuen Reifenmischungen und -konstruktionen drehen können wie Ferrari. Und bei fast allen Tests im vergangenen Jahr saß stets Sebastian Vettel am Steuer des Zwitters.
Klar, die neuen Reifen waren an einen alten Ferrari geschraubt. Den hatten die Techniker nur notdürftig auf die höheren Abtriebswerte und Kräfte hochtrimmen können. Aber eine klare Tendenz gerade beim Verhalten der Reifen in Sachen Abbau und Verschleiß ließ sich so doch herausarbeiten. Ferrari konnte seine Hausaufgaben besser machen, weil die Lehrer den Italienern früher als alle anderen gesagt haben, welche Aufgaben gestellt werden.
Für Vettel ist diese Starthilfe doppelt wertvoll. Denn der Heppenheimer ist traditionell ein Fahrer, der sich seine Stärke erarbeiten muss. Er ist kein Naturtalent wie etwa Lewis Hamilton oder auch Michael Schumacher, die beiden von Geburt an schnell sind; Hamilton weiß meistens nicht mal wieso. Vettel dagegen muss seine Grundschnelligkeit immer erst aktiv abrufen.
Dazu benötigt er einen gewissen Lernprozess. In diesem arbeitet er sich wie ein Streber in der Schule mit unheimlichem Fleiß und verbissener Zielstrebigkeit in die Materie ein, bis er sie wirklich voll und ganz kapiert hat. Irgendwann im Zuge dieser Vorarbeit macht es dann bei ihm „Klick“, und dann fallen plötzlich die Zeiten.
Wer sich mit langjährigen und früheren Weggefährten von Vettel unterhält, kriegt ziemlich schnell spitz: Jeder von denen kann sich an einen Moment erinnern, in dem Vettel durchschaut hat, was er tun muss, um schnell zu sein. Es war jedes Mal ein echter Wendepunkt in der Fahr- und Arbeitsweise des Exweltmeisters.
Wenn es erst Mal so weit ist, dann ist Vettel nur noch ganz schwer zu schlagen. Denn hat er einen Lauf, den sie bei Red Bull mal mit dem eines Roboters verglichen haben. Plötzlich ist er konstant schnell – und hat auch nicht mehr jene Schwankungen, die ihn noch 2016 zurückgebunden haben.
Alles deutet darauf hin, dass genau dieser Lernprozess bei den vielen Tests im alten Auto, aber mit den neuen Reifen – die erneut sehr sonderbar zu fahren sind – stattgefunden hat und Vettel dabei zu einer zündenden Erkenntnis gelangt ist.
Dass die Motoren von Ferrari besser geworden sind, ist unbestreitbar. Wahrscheinlich greift gerade ein Rädchen ins andere: profundes Verständnis der Ingenieure für die neuen Reifen, ein stärkerer Motor – und ein besserer Vettel.
Gleichzeitig hat sich Mercedes offenbar zu sicher gefühlt, dass der Leistungvorteil von Verbrenner und Hybrid auch in die erste Ära nach Ross Brawn und Norbert Haug gerettet werden kann.
Das Resultat ist ein Zweikampf an der Spitze, wie er der Formel 1 nur guttun kann. Denn er führt die Serie aus ihrer Lähmung heraus.
Barcelona wird zeigen, ob das nur ein Strohfeuer war – oder ob wir uns echt auf ein spannendes Jahr gefasst machen können.