27.06.2025
Fr., 27. Juni um 12:36
Zwei Stunden Schlaf mussten reichen. Mehr war nicht drin für Uwe Kleen, den Chef des Toyota-GT4-Teams Ring Racing, nach dem 24-Stundenrennen auf dem Nürburgring am Sonntag. Denn nach Zieldurchfahrt, Abbau, Zusammenpacken und Schlaf musste Kleen – dessen Vater aus Lütetsburg stammt – direkt weiter nach Spa-Francorchamps, zum Aufbau des Fahrerlagers vorm gleich nächsten 24-Stundenrennen.
Der Wahnsinn des kleinen Langstreckenprivatteams spiegelt sich gerade überall im Motorsport wider. Englische Wochen sind die Norm: Auch die Formel 1 steckt wieder in einem solchen „Double-Header“ – zwei Rennen an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden. Im Langstreckensport sind es gar drei 24-Stundenrennen binnen dreier Wochen, im Speedway drei Grands Prix an zwei Wochenenden, dazwischen etwa in Polen auch noch zwei Rennen an zwei Tagen vorm nächsten WM-Lauf.
Selbst die Fahrer ächzen unter dieser Dauerbelastung. Was sollen da erst die wirklich arbeitenden Menschen im Fahrerlager und in der Boxengasse sagen – die Mechaniker? Bei der Formel 1 gibt es davon zwar mehr als bei einem 24-Stundenrennen, weil die Teams größer sind. Aber dennoch gilt: Die Arbeitsbelastung, derer Funktionäre die Mechaniker aussetzen, ist nicht nur rücksichtslos, sondern inzwischen sogar gesundheitsgefährdend.
Man kann das erst dann so richtig nachempfinden, wenn man selbst auch so eine Ochsentour hinter sich hat. Das eigene Programm lautete: Donnerstag Recherche beim Quali zum 24-Stundenrennen auf dem Nürburgring; Freitag Praxistest im Rallye Dakar-Dacia Sandrider von Sébastien Loeb; Sonnabend Livestream-Kommentieren vom Speedway-Grand Prix in Landsberg an der Warthe; Sonntag wieder 24-Stundenrennen aufm Nürburgring für PITWALK und die Podcastreihe PITCAST.
Montag und Dienstag: platt wie ein Handkäse.
Und das ohne nennenswerte körperliche Arbeit, der Job erfordert zwar Köpfchen, aber keine Muckis. Ganz anders als bei den Mechanikern. Die müssen hart anpacken, bei einem 24-Stundenrennen inklusive Vorbereitung und Abbau in der Regel 34 Stunden unterratz mit bestenfalls kurzen Nickerchen im Team-Lkw. Und auch in der Formel 1 sind die Arbeitstage der Schrauber lang: 14 bis 16 Stunden am Stück sind die Norm. Allein schon wegen des Verkehrschaos’ rund um die Pisten muss man früh an die Strecke, und dort wird fast den ganzen Tag geschuftet, unterbrochen nur von den üblichen Mittagspausen und dem Abendbrot im Verpflegungsbereich des Teams.
Mechaniker sind harte Knochen, stark und widerstandsfähig, meist auch trinkfest, um die langen Tage mit Feierabendbieren ausklingen zu lassen. Doch auch solche ganzen Kerle kann man überfordern. Die Formel 1 tut das seit der Übernahme durch die neuen Vermarkter Liberty Media in unschöner Regelmäßigkeit, im Speedway sind Vielreiserei und kurze Nächte, dafür aber lange Autobahnetappen üblich. Jetzt fangen auch die Langstreckenrennausrichter damit an – in einer Szene, in der wegen des Charakters der 24-Stundenrennen noch mehr gearbeitet werden muss und noch weniger geschlafen werden kann als in der Formel 1.
Man kann es sich so leicht machen wie die Serienbetreiber oder der ehemalige Toro Rosso-Teamchef Franz Tost und sich auf den Standpunkt zurückziehen, die Mechaniker sollten sich glücklich schätzen, in dem Spektakel mitarbeiten zu dürfen, das doch ohnehin ihr Hobby sei; Klagen seien da völlig fehl am Platze.
Das zeugt aber von mangelndem Einfühlungsvermögen in die Befindlichkeiten und Bedürfnisse anderer Menschen. Und es zeugt auch von Weltfremde und Realitätsverlust. Wer schon länger und öfter hinter den Kulissen der 24 Stunden vom Ring recherchiert hat, dem ist eine Geschichte omnipräsent, die zeigt, wie brutal der Arbeitsalltag wieder ist: Sie trug sich zu, als der Brasilianer – und am vergangenen Sonntag Sieger in der Eifel – Augusto Farfus noch fürs BMW-Team Schnitzer fuhr. Er hatte gerade einen Routineboxenstopp absolviert und war seit einer oder zwei Runden wieder auf der Bahn. Sein Renningenieur wurde mitten in tiefer Nacht von der Müdigkeit übermannt, nickte am Kommandostand kurz ein – und schrak aus seinem Schlummer wieder auf, als Farfus wieder kurz vor der Start/Zielgeraden fuhr. Noch im Halbschlaf drückte der aufwachende Ingenieur den Sprechfunkknopf: „Box! Box! Box!“ Denn er hatte vom nächsten Stopp geträumt, vielleicht auch nur vergessen, dass gerade einer stattgefunden hatte – und in einer Mischung aus Schlaftrunkenheit, Panik und Instinkt den Wagen an die Box geordert. Farfus hatte zwar keine Ahnung, was los war, leistete aber Folge – es hätte ja sein können, dass dem Ingenieur auf den Daten vom Auto eine Unregelmäßigkeit aufgefallen wäre, die einen Stopp nötig machte.
In diesem Falle ging alles gut aus, von einer unnötigen Bummelfahrt durch die Boxengasse mal abgesehen. Was aber, wenn ein übermüdeter Mechaniker auf dem Weg zur nächsten Rennstrecke im Sekundenschlaf einen Unfall baut? Oder einen Fehler beim Aufbau macht, sodass eine ganze Fahrerlager- oder Boxenstruktur zusammenkracht? Selbst die Fahrer müssen sich nach einem 24-Stundenrennen erholen. Sie sehen noch Tage nach Le Mans jene Mittelstreifen vor ihrem geistigen Auge, die auf der Hunaudières-Geraden in voller Fahrt vor ihnen her- und unter ihnen durchflimmern.
Die Selbsterfahrung mit Nürburgring, Dakar-Dacia und Speedway schafft eine Sensibilisierung, die vorher nicht da war: Nehmt bei der Kalenderplanung mehr Rücksicht auf die Mechaniker. Denn ohne die dreht sich kein Rad. Ein bisschen Menschlichkeit und Einfühlungsvermögen schadet bei allem verständlichen Kommerzstreben nicht – und verhindert im Zweifel sogar noch Unfälle. Vielleicht ist 2025 ja ein abschreckendes Beispiel – und eine Wende zu mehr gesundem Menschenverstand im Motorsport.