05.07.2025
Hin und wieder kann man direkt neidisch werden. Da verschicken in Porsche und BMW zwei deutsche Premiumhersteller kurz vorm Wochenende offizielle Pressemitteilungen, in denen sie ausschweifend und in vollem Ernst auf eine Veranstaltung des sogenannten „E-Sport“ vorausschauen. Und sie wollen das uns Journalisten dann tatsächlich als echten Motorsport verkaufen – Menschen, die vor einem Computer vernetzt gegeneinander Rennen fahren.
Zur gleichen Zeit in England empfängt Premierminister Keir Stamer in Number 10 Downing Street aktuelle und frühere Formel 1-Fahrer und -Teammitglieder, um das 75-jährige Jubiläum der Gründung der Formel 1-WM zu zelebrieren. Der erste WM-Lauf fand seinerzeit in Silverstone statt. Und seither ist die Formel 1 eine höchst englische Angelegenheit, Ferrari und gelegentlich andere italienische Teams oder Sauber sind nur Farbtupfer in einer Szene, die von England, dem dortigen Racing Spirit und auch dem typischen Humor geprägt wird.
Die Formel 1-Teams hatten auch mal eine Phase, als sie Computer- oder Konsolenautorennen hoch in den Kurs gestellt haben. Bei Williams etwa gab es eine eigene Abteilung dafür. Aber nur zu Coronazeiten. Als die E-Sportler sich zu wichtig nahmen und mehr und mehr Platz beanspruchten, haben die Puristen der englischen Teams sie aber recht schnell wieder aufs richtige Maß zusammengestutzt: auf das einer Randerscheinung ohne echten motorsportlichen Wert und damit auch ohne Bedeutung für die Firma als solche.
Bei Porsche und BMW nehmen die Rennfahrerspieler immer noch Platz und Raum ein – und binden vor allem Etats, den beide Motorsport- oder auch Marketingabteilungen dringend selbst brauchen würden. Die Öffentlichkeitswirksamkeit ist denkbar gering, einen praktischen Nutzen etwa für die Entwicklung von Serienwagen haben die Computerspiele – anders als echter Rennsport – auch nicht.
Man wünscht sich, wenn man solche Pressemitteilungen liest, schnellstens ins Motorsports Valley – jenen Landstrich in Buckinghamshire und Northamptonshire, wo die meisten Rennteams angesiedelt nicht. Nicht nur aus der Formel 1, sondern aus allen möglichen Serien und Sparten, Tourenwagen und Sportwagenlangstrecke auch beispielsweise.
Audi Sport hat gerade erst eine Filiale seiner Motorsportabteilung dort aufgemacht, in Bicester, weil die Bayern einsehen mussten: Ihr auch noch recht neues Leistungszentrum in Neuburg an der Donau lockt in Sachen Formel 1 keinen hinter dem Ofen hervor. Da wurden Millionen Baukosten versenkt, die jetzt für die Formel 1 nutzlos geworden sind.
In England wird Rennsport von ganzem Herzen gelebt. Die Fans sind zwar in letzter Zeit auch mehr in Richtung eines Fußballpatriotismus abgedriftet, buhen und pfeifen die Gegner von britischen Fahrern aus. Da gab es vor Corona nicht. Es ist ein Zeichen der Nachseuchenzeit, dass Partygänger, welche die Rennen als Anlass für ausgiebige Fetentouren nutzen, Hardcorefans etwas an den Rand drücken. Beim 24-Stundenrennen auf dem Nürburgring haben Vatertagstouristen wie man sie sonst am Kukelorum in Rahe bei Aurich vermuten würde längst das Regiment übernommen; in der Formel 1 hat die Trivialisierung durch eine Streamingserie ihren Beitrag dazu geleistet, doch so übel wie am Ring ist es gerade in Silverstone noch nicht. Dort herrschen immer noch Enthusiasmus, Sachkenntnis und objektive Begeisterung vor. Und das macht den Grand Prix auf dem ehemaligen RAF-Weltkriegsflughafen trotz des alljährlichen Verkehrschaos zu so eine Freude für alle Besucher.
Für die englische Wirtschaft ist der Motorsport ein Eckpfeiler. Es gibt regelmäßig Erhebungen, wie viele Arbeitsplätze dranhängen – und wie viele hoch- und höchstqualifizierte Ingenieure deswegen im Motorsports Valley angesiedelt sind. Racing ist für das United Kingdom auch eine Unternehmenssteuerquelle, und zwar eine ziemlich sprudelnde.
Und es ist ein Quell’ des Stolzes. Drum ist der Empfang in der Downing Street auch aus zweierlei Gründen zustandegekommen: Das Empire will zeigen, was es kann – und es will jene honorieren, die ihren Beitrag dazu leisten. Ganz abgesehen davon, dass Motorsport auf der Insel einen fast so hohen Stellenwert wie Fußball genießt; die Briten zeigen einem, wie’s geht. Außer ihnen können das nur noch Australier und Amerikaner.
Silverstone weist an diesem Wochenende noch dazu eine typisch englische Besonderheit auf: Das ewige Duell der Aussies gegen die Pommies, also der Australier gegen die Briten, bestimmt die Formel 1: Oscar Piastri gegen Lando Norris. Eigentlich mögen sich die beiden Nationen – außer wenn es zum direkten Aufeinandertreffen kommt. Das ist dann immer etwa so aufgeladen wie St. Pauli gegen den HSV.
Wie gesagt: Man könnt’ direkt neidisch werden – und fühlt sich reif für die britische Insel.