+++ 2024-08-29 19:14 : Blog – warum will niemand Mick Schumacher? +++ 2024-08-18 11:14 : Blog – der unsinnigste Vergleich des Jahres +++ 2024-08-08 17:24 : Podcast – Erinnerungen an Speedwaystar Tommy Dunker. Interview von Norbert Ockenga mit Weggefährte und Rivale André Pollehn +++
BACK

02.06.2023

Vettel geht aufs Wasser


Mitten im normalen Journalistenalltag trudelt Überraschendes im Emailpostfach ein. Sebastian Vettel engagiert sich als Teilhaber bei einem neuen deutschen Team für die „SailGP“ – eine Segelregatta mit Hightech-Katamaranen, die auf Tragflächen durch große Seen wie den Lake Michigan oder küstennahe Meeresgewässer etwa vor Auckland pflügen.

Es ist eine der wenigen Presseinformationen, die ich auch tatsächlich mal lese. Denn meistens strotzen solchen Aussendungen nur so vor Allgemeinplätzen, die für Journalisten, die ihren Job ernst nehmen, unbrauchbar sind. Doch ein vierfacher Formel 1-Weltmeister aus dem tiefsten Binnenland geht Segeln? Das kann man sich mal näher angucken. Und sogar als Anlass für einen eigenen Podcast nehmen. Den könnt Ihr hier direkt hören, mit O-Tönen von Sebastian Vettel: https://www.pitwalk.de/pitcast/drivers-start-your-engines/kieler-wochen

Es ist selten, dass ein verrenteter Grand Prix-Pilot sich anderweitig engagiert als in anderer Form in der Formel 1, zumindest aber in anderen Rennserien. Besonders gern genommen sind da die 24 Stunden von Le Mans und die angegliederte Sportwagen-WM. Oder, heutzutage besonders beliebt: Expertenrollen im Fernsehen oder bei Moderationen vor Ort in der Formel 1. Von David Coulthard über Johnny Herbert, Damon Hill und sogar den zurzeit auf allen möglichen Internetprortalen polternden Ralf Schumacher – als Experte kann man ohne viel Aufwand Geld verdienen und jener Gewohnheit, in der Öffentlichkeit zu stehen, weiter frönen, die man sich als Rennfahrer angeeignet hat.

Besonders frappierend ist die Sucht von Fahrern, sich nicht abnabeln zu können. Michael Schumacher und Damon Hill stehen als abschreckende Beispiele dafür, wie man sich im Herbst seiner Karriere aus falsch verstandenem Selbstbewusstsein selbst entzaubern kann. Auch Fernando Alonso war schon weg, fuhr Le Mans, die 24 Stunden von Daytona, das Indy 500 und sogar die Rallye Dakar – und ist nun doch mit Verve in die Grand Prix-Szene zurückgekehrt. In der Rallye-WM ist es ähnlich: Der neunfache Weltmeister Sébastien Loeb versuchte sich in der Tourenwagen-WM, der Rallye Dakar – und kehrt doch, dem Pol eines Magneten gleich, wie angezogen immer wieder zu Gaststarts in die eigentliche Rallye-WM zurück. Sein Nachfolger und erklärter Erzrivale Sébastien Ogier macht es nun gerade ähnlich.

Nur selten findet man klare Schnitte wie jetzt bei Vettel und seiner Segelei. Nico Rosberg hat es ähnlich gemacht. Der Blondschopf engagiert sich nach seinem Hopplahopprücktritt als Weltmeister inzwischen als Missionar in Sachen Nachhaltigkeit, richtet eigene Messen und Think Tanks für Umweltschutz und Mobilität der Zukunft aus. Wenn er noch im Motorsport unterwegs, dann in einer nachhaltigen Form: als Teamchef eines Rennstalls in der Extreme E – einer Rennserie für elektrisch betriebene Allrad-SUV, die in einer Art Mischung aus Rallycross und Marathonrallye unterwegs ist.

Der sportliche Wert der Extreme E ist äußerst überschaubar. Doch sie verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie die SailGP von Vettel. Sie verbindet Sportveranstaltungen mit offensiv ausgelebtem Umweltschutz. In der Extreme E gibt es bei jeder Veranstaltung regionaltypisch besetzte Themen und Initiativen, in welche die Rennfahrer mit eingebunden wären. Würde ein Extreme E-Rennen rund ums Motodrom Halbemond stattfinden, müssten die Fahrer etwa mit ausrücken, um im Nationalpark Wattenmeer Heuler auszuwildern.

Vettel sagt zur Begründung seines Segel-Engagements ausdrücklich, nicht nur der reine Sport hätte ihn gelockt – sondern auch die sogenannte „Impact League“, die neben der Teamwertung ausgelobt wird. In der wird eine Tabelle für Teams mit dem kleinsten ökologischen Fußabdruck und dem größten Nachhaltigkeitssendungsbewusstsein kalkuliert. Das ist genau nach dem Gusto von Vettel, der in den letzten Jahren seiner Formel 1-Zugehörigkeit mehr durch Müllsammeln und die Vermeidung von Plastikflaschen als durch sportliche Erfolge aufgefallen ist.

Es ist schwer vorstellbar, dass sich ein Fernando Alonso auf ähnliche Art und Weise für die Umwelt oder die Gesellschaft engagieren würde. Der inzwischen 41-Jährige ist noch ein echter eindimensionaler Vollblutracer. Anders als etwa Michael Schumacher, der Zeit seiner Formel 1-Karriere stets betont hat, andere Serien außerhalb der Grand Prix-Rennerei würden ihn fahrerisch nicht interessieren, liebt und lebt Alonso den Motorsport als Ganzes. Drum wird er auch, wenn ihm die Formel 1 irgendwann über den Kopf gewachsen ist, sicher wieder in anderen Serien auftauchen. Zumal er nach dem unrühmlichen Abschied von Toyotas Le Mans-Team noch eine Rechnung mit der Langstrecke offen hat. Und der Latino in Alonso sorgt dafür, dass er offene Rechnungen nie vergisst – und irgendwann bis auf den letzten Heller beglichen wissen will. Genau das ist derzeit seine Triebfeder für den vielbeachteten zweiten Frühling in der Formel 1.

Auch Vettel ist ein Racer mit einem Blick auf alle Facetten des Motorsports. Vor allem Le Mans und die Langstrecke interessieren ihn. Aber nicht um jeden Preis. Der Umweltschutz und ein Leben mit sich im Reinen scheinen ihm wichtiger. Genau wie Rosberg. Vielleicht ist es eine Frage der Schulbildung? Rosberg hat ein Einser-Abitur. Auch Vettel war als Kind und Jugendlicher nicht nur Kartfahrer, sondern drückte auch mit Erfolg die Schulbank. Anders etwa als Max Verstappen, Lewis Hamilton oder Alonso.

Trotzdem deutet alles darauf an: Die Teilhaberschaft beim deutschen Nationalteam in der SailGP ist nicht das Letzte, was wir von Vettel gesehen haben werden. Und er wird seine Aktivitäten auch wieder in normale Fahrerlager ausdehnen. Ganz sicher.


Teile diesen Beitrag

Das könnte auch interessant sein:

  • 09.07.2025

    Es geht wieder los

    So, hier ist es – das so heiß ersehnte Inhaltsverzeichnis der neuen Ausgabe von PITWALK. Deutschlands größte Motorsportzeitschrift wartet dieses Mal mit ganz besonderem Content auf…
  • 07.07.2025

    Umgefragt und viel gelernt

    Hallo liebe PITWALK-Freund, es ist endlich wieder soweit: Die neue Ausgabe Ihrer Lieblingszeitschrift ist heute in Druck gegangen. Wir haben uns dieses Mal extra ein bisschen mehr…
  • 05.07.2025

    Reif für die britische Insel

    Hin und wieder kann man direkt neidisch werden. Da verschicken in Porsche und BMW zwei deutsche Premiumhersteller kurz vorm Wochenende offizielle Pressemitteilungen, in denen sie a…
  • 29.06.2025

    PITWALK braucht Eure Hilfe

    Hallo lieber PITWALK-Freund, wir haben den Erscheinungstag der neuen Ausgabe etwas verschoben, weil wir uns aufgrund der Ereignisse bei den 24-Stundenrennen dazu entschieden haben…
  • 27.06.2025

    Appell für mehr Menschlichkeit

    Fr., 27. Juni um 12:36 Zwei Stunden Schlaf mussten reichen. Mehr war nicht drin für Uwe Kleen, den Chef des Toyota-GT4-Teams Ring Racing, nach dem 24-Stundenrennen auf dem Nürburgr…
  • 13.06.2025

    Sackgasse Le Mans

    Der Blick zurück ins Jahr 1991 zeigt: Michael Schumacher hat die schnellste Rennrunde gefahren – in Le Mans, beim 24-Stundenrennen in Westfrankreich. Damals ist der spätere Dauerwe…
  • 16.04.2025

    McLaren lacht sich kaputt

    McLaren-Teamchef Zak Brown kommt dieser Tage aus dem Lachen gar nicht mehr raus. Dem beleibten Kalifornier gelingt das, was einst der Traum des vorigen McLaren-Chefs und -Minderhei…
  • 11.04.2025

    Tränen bei BMW

    Es fließen viele Tränen dieser Tage in München. BMW hat eine Sammlung von historischen Autos, sowohl Serien- als auch Rennwagen. Doch im Zuge des allgemeinen Kostendrucks in der Au…
  • 03.04.2025

    Von Ast und Säge

    Man muss sich schon wundern, wes Geistes Kind manche Leute sind. Etwa am Montag, bei einer Fahrveranstaltung von Dacia in Lünen, als ein Kollege, der sich mit Autotests befasst, in…
  • 25.03.2025

    Formel 1 und mehr

    Die neue Ausgabe der Zeitschrift PITWALK unterstreicht ein Mal mehr, warum das Magazin von Eurosport-Kommentator Norbert Ockenga und seinem Team die Nummer 1 unter den deutschen Mo…
  • 21.03.2025

    Verflucht und zugenäht

    Vielleicht wäre es an der Zeit, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Denn bereits seit dem vergangenen Jahr macht der Automobilweltverband FIA einen Nebenkriegsschauplatz auf – …
  • 13.03.2025

    British Racing Days

    Mit dem Formel 1-Saisonauftakt ist es irgendwie wie mit Weihnachten: Man weiß genau, wann er ist – aber er kommt dann doch immer viel zu schnell und hopplahopp. Den Teams gehen auc…
2025 – BILD-PUNKTE LAREUS.MEDIA