02.06.2023
Mitten im normalen Journalistenalltag trudelt Überraschendes im Emailpostfach ein. Sebastian Vettel engagiert sich als Teilhaber bei einem neuen deutschen Team für die „SailGP“ – eine Segelregatta mit Hightech-Katamaranen, die auf Tragflächen durch große Seen wie den Lake Michigan oder küstennahe Meeresgewässer etwa vor Auckland pflügen.
Es ist eine der wenigen Presseinformationen, die ich auch tatsächlich mal lese. Denn meistens strotzen solchen Aussendungen nur so vor Allgemeinplätzen, die für Journalisten, die ihren Job ernst nehmen, unbrauchbar sind. Doch ein vierfacher Formel 1-Weltmeister aus dem tiefsten Binnenland geht Segeln? Das kann man sich mal näher angucken. Und sogar als Anlass für einen eigenen Podcast nehmen. Den könnt Ihr hier direkt hören, mit O-Tönen von Sebastian Vettel: https://www.pitwalk.de/pitcast/drivers-start-your-engines/kieler-wochen
Es ist selten, dass ein verrenteter Grand Prix-Pilot sich anderweitig engagiert als in anderer Form in der Formel 1, zumindest aber in anderen Rennserien. Besonders gern genommen sind da die 24 Stunden von Le Mans und die angegliederte Sportwagen-WM. Oder, heutzutage besonders beliebt: Expertenrollen im Fernsehen oder bei Moderationen vor Ort in der Formel 1. Von David Coulthard über Johnny Herbert, Damon Hill und sogar den zurzeit auf allen möglichen Internetprortalen polternden Ralf Schumacher – als Experte kann man ohne viel Aufwand Geld verdienen und jener Gewohnheit, in der Öffentlichkeit zu stehen, weiter frönen, die man sich als Rennfahrer angeeignet hat.
Besonders frappierend ist die Sucht von Fahrern, sich nicht abnabeln zu können. Michael Schumacher und Damon Hill stehen als abschreckende Beispiele dafür, wie man sich im Herbst seiner Karriere aus falsch verstandenem Selbstbewusstsein selbst entzaubern kann. Auch Fernando Alonso war schon weg, fuhr Le Mans, die 24 Stunden von Daytona, das Indy 500 und sogar die Rallye Dakar – und ist nun doch mit Verve in die Grand Prix-Szene zurückgekehrt. In der Rallye-WM ist es ähnlich: Der neunfache Weltmeister Sébastien Loeb versuchte sich in der Tourenwagen-WM, der Rallye Dakar – und kehrt doch, dem Pol eines Magneten gleich, wie angezogen immer wieder zu Gaststarts in die eigentliche Rallye-WM zurück. Sein Nachfolger und erklärter Erzrivale Sébastien Ogier macht es nun gerade ähnlich.
Nur selten findet man klare Schnitte wie jetzt bei Vettel und seiner Segelei. Nico Rosberg hat es ähnlich gemacht. Der Blondschopf engagiert sich nach seinem Hopplahopprücktritt als Weltmeister inzwischen als Missionar in Sachen Nachhaltigkeit, richtet eigene Messen und Think Tanks für Umweltschutz und Mobilität der Zukunft aus. Wenn er noch im Motorsport unterwegs, dann in einer nachhaltigen Form: als Teamchef eines Rennstalls in der Extreme E – einer Rennserie für elektrisch betriebene Allrad-SUV, die in einer Art Mischung aus Rallycross und Marathonrallye unterwegs ist.
Der sportliche Wert der Extreme E ist äußerst überschaubar. Doch sie verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie die SailGP von Vettel. Sie verbindet Sportveranstaltungen mit offensiv ausgelebtem Umweltschutz. In der Extreme E gibt es bei jeder Veranstaltung regionaltypisch besetzte Themen und Initiativen, in welche die Rennfahrer mit eingebunden wären. Würde ein Extreme E-Rennen rund ums Motodrom Halbemond stattfinden, müssten die Fahrer etwa mit ausrücken, um im Nationalpark Wattenmeer Heuler auszuwildern.
Vettel sagt zur Begründung seines Segel-Engagements ausdrücklich, nicht nur der reine Sport hätte ihn gelockt – sondern auch die sogenannte „Impact League“, die neben der Teamwertung ausgelobt wird. In der wird eine Tabelle für Teams mit dem kleinsten ökologischen Fußabdruck und dem größten Nachhaltigkeitssendungsbewusstsein kalkuliert. Das ist genau nach dem Gusto von Vettel, der in den letzten Jahren seiner Formel 1-Zugehörigkeit mehr durch Müllsammeln und die Vermeidung von Plastikflaschen als durch sportliche Erfolge aufgefallen ist.
Es ist schwer vorstellbar, dass sich ein Fernando Alonso auf ähnliche Art und Weise für die Umwelt oder die Gesellschaft engagieren würde. Der inzwischen 41-Jährige ist noch ein echter eindimensionaler Vollblutracer. Anders als etwa Michael Schumacher, der Zeit seiner Formel 1-Karriere stets betont hat, andere Serien außerhalb der Grand Prix-Rennerei würden ihn fahrerisch nicht interessieren, liebt und lebt Alonso den Motorsport als Ganzes. Drum wird er auch, wenn ihm die Formel 1 irgendwann über den Kopf gewachsen ist, sicher wieder in anderen Serien auftauchen. Zumal er nach dem unrühmlichen Abschied von Toyotas Le Mans-Team noch eine Rechnung mit der Langstrecke offen hat. Und der Latino in Alonso sorgt dafür, dass er offene Rechnungen nie vergisst – und irgendwann bis auf den letzten Heller beglichen wissen will. Genau das ist derzeit seine Triebfeder für den vielbeachteten zweiten Frühling in der Formel 1.
Auch Vettel ist ein Racer mit einem Blick auf alle Facetten des Motorsports. Vor allem Le Mans und die Langstrecke interessieren ihn. Aber nicht um jeden Preis. Der Umweltschutz und ein Leben mit sich im Reinen scheinen ihm wichtiger. Genau wie Rosberg. Vielleicht ist es eine Frage der Schulbildung? Rosberg hat ein Einser-Abitur. Auch Vettel war als Kind und Jugendlicher nicht nur Kartfahrer, sondern drückte auch mit Erfolg die Schulbank. Anders etwa als Max Verstappen, Lewis Hamilton oder Alonso.
Trotzdem deutet alles darauf an: Die Teilhaberschaft beim deutschen Nationalteam in der SailGP ist nicht das Letzte, was wir von Vettel gesehen haben werden. Und er wird seine Aktivitäten auch wieder in normale Fahrerlager ausdehnen. Ganz sicher.