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05.01.2022

Unter Lade-Druck


Nasser Al-Attiyah ist nur auf Bewährung draußen. Also auf den Etappen der Rallye Dakar, ist gemeint. Der Gesamtführende aus Katar steht seit gestern unter verschärfter Beobachtung der Technischen und Sportkommissare – seit ein Urteil von Uwe Schmidt, Jordi Parro und Ahmed Jan offiziell wurde.

Die drei SpoKos verknackten Al-Attiyah zu 5.000 Euro Geldbuße – und verhängten eine Disqualifikation auf Bewährung. Denn beim Versuch, nach der zweiten Etappe die Werte aus dem bordeigenen Datenaufzeichnungsgerät auszulesen, hatten die Technischen Kommissare festgestellt: Der Datalogger war nicht angeschlossen.

Jean-Marc Fortin – der Chef jenes Overdrive-Teams, das Al-Attiyahs Toyota Hilux T1+-Allradauto einsetzt – führte bei der anschließenden Anhörung an, das sei ein Versehen eines Mechanikers gewesen. Der Datenrekorder sei direkt mit der Batterie verbunden und werde jeden Abend im Biwak abgeklemmt, aus Sicherheitsgründen. Am Morgen vor der zweiten Etappe habe ein Mechaniker schlicht vergessen, ihn wieder anzuschließen.

Damit argumentierte Fortin eine mildere Strafe herbei: Al-Attiyah wird nur disqualifiziert, wenn er im Laufe der Rallye noch ein Mal mit demselben Vergehen auffällig wird.

Was sagen Ingenieure von der Konkurrenz zu der These „aus Sicherheitsgründen“? Die Antwort kommt ohne zu zögern: „Bullshit“ – Unfug also.

Die Datenaufzeichnung, welche der Automobilverband FIA obligatorisch veranlasst, dient diversen Zwecken. So werden alle Werte im Nachgang der Dakar ausgewertet, um so Rückschlüsse auf das Kräfteverhältnis zwischen Buggys, T1+ und den neuen Öko-Hybridwagen von Audi zuzulassen. Je mehr Daten, desto genauere Analysen sind möglich. Auf der Basis dieser Auswertungen entstand etwa die exklusive Geschichte in PITWALK Ausgabe 60 https://shop.pitwalk.de/magazin/98/ausgabe-60?c=6, in der wir erstmals enthüllen konnten, dass die T1+-Kategorie neu eingeführt werden wird.

Aber auch für die tagesaktuelle Bewertung des Rallyegeschehens sind die Daten wichtig. Denn für die Turbomotoren gilt ein maximal erlaubter Höchstwert beim Ladedruck. Der ist im Regelwerk festgeschrieben. Und die Zahlenketten aus dem Datalogger enthüllen, ob dieser Höchstladedruck eingehalten wird – oder überschritten. Fehlen die Daten, kann kein Mensch mehr nachvollziehen, ob das Auto jederzeit legal unterwegs war – oder ob der Boot überschossen wurde.

Das ist bei Turbomotoren gar nicht mal immer Absicht. Im GTE- und GT3-Sport gibt’s auch eine Relationstabelle, die genau festlegt, welcher maximale Ladedruck bei welcher Drehzahl gelten muss. Und jedes Motoringenieur tunt die Einstellungen des Aggregats so, dass der Boot möglichst nahe an diesen optimalen Wert kommt. Das ist eine Punktlandung – die auf der Rundstrecke mit ihren konstanten und Runde um Runde reproduzierbaren Verhältnissen deutlich einfacher hinzukriegen ist als im rauen, offenen und wechselhaften Gelände bei einer Marathonrallye, wo viel mehr äußere Einflüsse wirken, oft wie ein Störfeuer.

Im Rally Raid-Sport funktioniert die Motoreinstufung anders als in den GT-Sparten: Jeder Motor muss vorab auf einen Prüfstand des Weltverbands FIA in Genf geschnallt werden. Die Kunden zahlen für diese Dynostunden. Dabei werden die verschiedenen Einstellungsparameter der Motoren – darunter bei Turbos auch der Ladedruck – auf eine theoretische Leistungskurve quasi geeicht, die 400 PS entspricht. Die Werte, mit denen dieser Kraftentfaltungsgraph erreicht wird, sind dann für die Rallye Dakar und die Rally Raid-WM fest vorgeschrieben.

Hallspeed – das südafrikanische Team, das die Hilux-Pritschenwagen im Toyota-Werksauftrag entwickelt – hat erst im Laufe des vergangenen Jahres von dicken V8-Saugern auf effizientere V6-Turbos umgerüstet. Trotz reichlich Prüfstands-, Test- und auch Einsatzstunden mit Giniel de Villiers in der Südafrikanischen Offroadmeisterschaft ist der aufgeladene Motor für die Mannschaft aus Kyalami, die sämtliche Entwicklung und Fertigung in-house betreibt, noch Neuland. Deswegen ist gerade das Feintuning des Aggregats eine heikle Gratwanderung. Das wussten alle Insider vorher.

Prodrive etwa, mit Sébastien Loeb ärgster Verfolger von Spitzenreiter Al-Attiyah, verwendet auch einen Turbomotor, nämlich eine Ableitung des V6-Ecoboost aus dem Ford GT für Le Mans, die Sportwagen-WM und die IMSA. Der Motor an sich ist also schon eine bekannte Größe, und die Engländer arbeiten damit auch schon seit mehr als einem Jahr – seit sie ihren ersten BRX Hunter auf Kiel gelegt und vom Stapel gelassen haben. Der Toyota-Motor hingegen ist ein völlig neues Aggregat, zumindest für den Motorsport, denn es stammt aus der neuen Serienbaureihe des Land Cruiser.

Wo neu auf Neulinge trifft, sind Ungenauigkeiten beim Programmieren solch heikler Grenzbereiche schnell passiert. Auch ohne böse Absicht, mit dem Boost behumsen zu wollen.

Dass das geschehen kann, zeigt eine weitere Entscheidung der Sportkommissare, die gestern Abend ruchbar wurde: Henk Lategan, der 28-jährige Südafrikaner von Hallspeed-Toyota, fing sich nach Etappe 2 fünf Strafminuten. Der Grund? In seinem Hilux T1+-Bakkie war der maximal erlaubte Höchstladedruck auf der Prüfung sechs Mal um mindestes 30 Millibar überschossen worden.

In Lategans Pickup-Truck funktionierte der Datalogger nämlich noch.


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