26.06.2019
Allein schon der Tunnel. Wenn man normaler Weise unter einer Rennstrecke hindurch muss, um etwa von den Parkplätzen in den Innenbereich zu gelangen, bieten die Unterführungen stets einen trostlosen bis fragwürdigen Anblick.
In Le Mans etwa, beim großen 24 Stunden-Rennen, gibt es eingangs Start/Ziel den „Tunnel der Exkremente“; dessen Name ist Programm, und der zugehörige Geruch wird im Laufe eines Rennwochenendes immer penetranter. Und am Nürburgring fühlte man sich jahrelang wie im Bergbaumuseum von Lautenthal im Oberharz.
In Spielberg dagegen zieren kunstvolle Bilder von alten und aktuellen Formel 1-Granden die Wände des Tunnels ins Fahrerlager, es klingen zurückhaltende, aber vernehmliche alpine Weisen, und man durchquert einen freundlich gestalteten, nicht zu aufdringlichen Fanshop mit Imbissbereich. Fast fühlt man sich wie auf dem Flughafen Zürich-Kloten – wo eine Art U-Bahn die einzelnen Flugsteiggebäude verbindet und man während der Fahrt eidgenössische Kühe aus den Lautsprechern muhen hört.
So kleine charmante Details kann die Mannschaft von Dietrich Mateschitz, dem Chef von Red Bull, der den einstigen Österreichring aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsst hat und die Formel 1 wieder in die Nähe von Graz geholt hat. Das Schicksal der Rennstrecke ist da fast ein wenig mit jenem des Motodroms Halbemond zu vergleichen, als Meik Lüders dort mit viel Eigeninitiative die Zeit der Speedwaymotorenruhe beendete. Der frühere Flughafenkurs in der Steiermarkt ist inzwischen eine der besuchenswertesten Rennstrecken des Formel 1-Kalenders.
Zumal sich auch das Umland für einen sommerlichen Formel 1-Kurzurlaub anbietet, von Wein über Schinken bis hin zu Schokolade ist in der Region alles geboten, Wellness in heißen Quellen, Wander- und Radwanderwege – die Steiermark selbst rundet den stimmungsvollen Grand Prix auf der anspruchsvollen, wenn auch ungewöhnlich kurzen Berg- und Talbahn ab.
Deswegen haben wir in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift PITWALK auch eine eigene Reisegeschichte rund um den Großen Preis von Österreich gebracht: Wenn man nur ein Mal im Jahr zu einem Grand Prix reisen möchte, dann sollte man sich unbedingt Spielberg vornehmen. Er bietet so viel mehr als Hockenheim oder andere mit dem Auto zu erreichende Rennstrecken. Denn in Spielberg haben die Streckenbetreiber das geschafft, was anderswo kläglich gescheitert ist: die alte Substanz im Grundsatz zu erhalten, aber gefühlvoll in die Moderne zu überführen.
Zugegeben, die hohe Präsenz des namensgebenden Limonadenherstellers kann schnell anfangen zu nerven. Vor allem, wenn die Teammitglieder sich auch noch mit Knickerbockern kleiden und man schon vorher dauernd mit vermeintlich lustigen und coolen Aktionen konfrontiert wird: Man kutschiert man ein Formel 1-Auto aufm Abschleppwagen durch die Berge, mal gibt’s einen Showrun am Grazer Schlossberg mit Max Verstappen. Alles Kokolores, der nicht mal als Werbung für die Veranstaltung nötig wäre – die Formel 1-Szene weiß längst, was sie an Spielberg hat. Nicht zuletzt deshalb kommen zigtausende Niederländer angereist, um Teile der Tribünen und Zuschauerbereiche in eine orangenes Meer zu tauchen.
Nach dem viel kritisierten Langweiler vom vergangenen Wochenende auf der Retortenpiste von Le Castellet kommt der ehemalige Österreichring genau recht. Während Le Castellet als plakatives Beispiel dafür dient, wie man eine einst geschichtsträchtige Rennstrecke nicht modernisieren darf, ist in Österreich das genaue Gegenteil passiert. Zwar lag die Rennstrecke früher mal in Zeltweg, jetzt in Spielberg, obwohl sie sich nie vom Fleck bewegt hat, aber das ist eine Provinzpolitposse, wie wir sie auch in Ostfriesland nicht besser hinkriegen würden. Und es ändert nichts daran, dass der Ring sein Grundlayout behalten hat – mit vielen schnellen Teilen sowie Steigungen und Gefällen.
Ein Anbauplan zur Verlängerung auf ein früheres Gardemaß hängt noch in der Schwebe, dazu müssten Landeigentümer erst enteignet werden. Denn es ist immer dasselbe: Viele von den Anrainern wissen, dass Red Bull seine Finger im Spiel hat, und denken deswegen, sie könnten die Preise für ihr Land hochtreiben, wenn Red Bulls Millionarios es kaufen möchten. Doch genau auf solch’ eine Preistreiberei lässt Red Bull-Chef Mateschitz sich nicht ein. Aus genau diesem Grund sind auch schon Pläne gescheitert, den seit ein paar Jahren ebenfalls in Red Bull-Besitz befindlichen Salzburgring im Nesselgraben von einer Breitensport- zu einer Profianlage aufzurüsten.
Der Österreich-, pardon: A1-, pardon: Red Bull-Ring kann auch mit der kleineren Variante leben. Vielleicht sogar noch eine Spur besser. Denn hoch oben über dem Ring thront eine feine Alm, ein Speiselokal mit regionalen Spezialitäten wie dem unausweichlichen Wiener Schnitzel, zubereitet auf höchstem Niveau und serviert in österreichischem Ambiente. Nirgends genießt man sein Essen mit Lokalkolorit bei so feiner freier Sicht auf weite Teile der Rennstrecke, der Blick schweift beim Kauen bis runter ins Fahrerlager.
Das elitäre, aber dennoch nicht überkandidelte Restaurant gehört natürlich auch – einer Tochterfirma von Red Bull.