08.01.2022
Ist das schon die Vorentscheidung? Die Yamaha-Werksfahrer in der Motorradwertung müssen ihre Motoren schonen. Die Ingenieure haben die Leistung der Blauen auf den letzten Etappen der Dakar derart gedrosselt, dass Adrian van Beveren, Ross Branch und Andrew Short auf langen Geradeauspassagen bis zu 30 km/h Endgeschwindigkeit auf die Schnellsten fehlen.
Und diese Schnellsten sind nicht etwa die KTM und ihre Schwestermarken Gas Gas und Husqvarna – sondern die indischen Hero, die vom bayerischen Speedbrain-Team entwickelt und vorbereitet werden. Die kratzen nämlich in 182 km/h an einer allgemeinen Bestmarke.
Das ist keine Überraschung. Denn die Hero folgt noch der alten Bauweise der traditionellen Wüstenschiffe – mit einem klassischen Gitterrohrrahmen, nicht mit einem Motocross-Chassis. Das verleiht den indischen Bajuwaren just beim Geradeauslauf in offener Wüste mehr Stabilität – eine Stärke, die jahrzehntelang vor allem die unterschiedlichen Ausbaustufen der KTM ausgezeichnet hatte.
Speedbrain hat für Hero das Beste aus beiden Welten herbeientwickelt: die alte Wüstenschiff-Stabilität im Gelände behalten – gleichzeitig aber vor allem über die Lage und Form der Tanks den Massenschwerpunkt der weißroten Bikes so zentriert, dass sie auch im steinigen Gelände agil genug sind. Was wiederum die entscheidende Stärke der Honda bei ihren letzten beiden Siegfahrten war, und was KTM dem neuen Bike mit dem Schleifenrahmen aus dem Motocross auch eingeimpft hat.
Hero hat in Sebastian Bühler und Franco Caimi seine beiden Spitzenfahrer vor der Dakar im Winter wegen Verletzungen verloren. Das Team von Wolfgang Fischer kann deswegen ohne ersten Sturm im Sattel nicht konstant vorn reinfahren.
Honda hat bei der Entwicklung seiner Siegermaschine Stillstand walten lassen, denn die Firmenzentrale in Japan hat dem italienischen Einsatzteam das Budget empfindlich gekürzt. Mit dem Resultat, dass KTM samt Schwestermarken und – bis zur Drosselung – Yamaha eine kurze, aber entscheidende Nasenlänge voran sind.
Seit die blauen Japaner Leistung reduzieren mussten, fiel Speerspitze van Beveren sukzessive zurück. Hinter Spitzenreiter Sam Sunderland von Gas Gas gingen zuerst Matthias Walkner und zuletzt auch Daniel Sanders scheinbar spielerisch am Franzosen vorbei. Wenn am Ruhetag kein Stein der Weisen gefunden wird, machen die KTM-Marken den Sieg unter sich aus – wobei der Fight der großen Drei völlig offen ist und in der zweiten Woche das Filetstück der Dakar 2022 darstellen dürfte. Denn Stallregie ist im KTM-Großaufgebot ein Fremdwort.
Ross Branch von Yamaha bleibt eh' nur noch das Wundenlecken. Der Afrikaner aus Botsuana hat inzwischen seinen Sturz auf der Skandal-Abbruchsetappe vom Freitag noch mal Revue passieren lassen: Er sei mit 160 Sachen durch eine tiefe Spur geprescht, welche die Lkw am Vortage wie eine Bobbahn in die Wüste gepfügt hatten. Er hing genau in dieser Furche fest, als vor ihm eine etwa 30 Zentimeter hohe Steinstufe aufgetaucht sei, mutmaßlich erst rausgewühlt von den Riesentruckreifen am Tag zuvor. Bremsen? Ausweichen? Keine Chance mehr, bei dem Tempo. Durch den Aufprall sei die Kette abgerissen und der hintere Stoßdämpfer explodiert. Er sei mitsamt der Maschine abgehoben, aus dem Sattel katapultiert worden – und erst 100 Meter vom Motorrad entfernt wieder gelandet. Da hätte er noch Glück gehabt, dem Scharmützel nur mit milden Verletzungen zu entkommen.
Nach dem Abgang stellten die Veranstalter vorm Unfallort ein Gefahrenwarnschild auf. Im Roadbook war die Stelle noch nicht als Gefahrenhort vermerkt. Als Danilo Petrucci an derselben Stelle schwer zu Fall kam und sich eine Fleischwunde zuzog, reifte in der Rallyeleitung die Bereitschaft, auf die Einwände der alarmierten Topfahrer zu hören, welche diese per Mobiltelefon beim ersten Tankstopp vortrugen – und die Etappe vorzeitig abzubrechen.