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22.05.2024

Renn-Rowdys


So was nennt sich wohl Großreinemachen. Ferrari positioniert sich auf radikale Art und Weise neu. Letzte Woche haben die Italiener zwei Neuverpflichtungen bekanntgegeben, die tief blicken lassen. Eine davon ist nicht neu, die andere hingegen ein echter Coup.

Der Hammer ist: Jérôme d’Ambrosio geht von Mercedes zu den Roten. Der 38-Jährige aus dem belgischen Ettereek wird dort zum Stellvertretenden Teamchef, nachdem er bei Mercedes zuvor als Chef der Nachwuchsabteilung und auch eine Art Verbindungsoffizier zwischen den Fahrern und dem Team gewesen ist. Solch’ eine Planstelle hat Toyota für sein Le Mans-Team bereits seit 2016 kreiert, als der langjährige Rennfahrer Alexander Wurz aufhörte. Der Niederösterreicher bekleidet seither den Posten als Attaché zwischen den Fahrern und den Ingenieuren des kölschen Werksteams Toyota Gazoo Racing, er kümmert sich auch aktiv um Fragen der Rennstrategie – und ist als solcher ein maßgeblicher, wenn auch vielfach unterschätzter Baustein in der Erfolgsstory von Toyota bei den Sportwagen auf der Langstrecke.

Die Rolle von d’Ambrosio bei Mercedes ist nicht ganz so exponiert. Dabei verfügt er über einen bemerkenswerten Hintergrund: Sein früherer Förderer war Thierry Boutsen – und der heute 66-jährige Belgier, der zwischen 1983 und 1993 selbst Formel 1 fuhr und 1985 auch Teamkollege von Stefan Bellof im Brun-Porsche bei dessen Todesrennen im Porsche 956-Gruppe C war, gilt als einer der intelligentesten Grand Prix-Piloten aller bisherigen Zeiten. Boutsen hat d’Ambrosio in dessen Frühphase in der Einsteigerserie Formel König gefördert, die es längst nicht mehr gibt.

Fahrerisch hat d’Ambrosio die verheißungsvollen Grundanlagen nicht bis in die Formel 1 umsetzen können, doch von Boutsen hat er viel in Sachen Analytik und Denken mitgenommen. Was viele vergessen haben: Er war auch zwei Jahre Teamchef beim Venturi-Rennstall in der Formel E. Die interessiert zwar in der breiten Öffentlichkeit niemanden, doch man lernt dort sehr viel über Management und Teamführung – denn die Technik der Elektroautos und ihrer aufwändigen Energiemanagementsoftware ist so komplex, dass der richtige Umgang mit Ingenieuren und eine gute Personalplanung unabdingbar ist.

Bei Mercedes hat man das wahre Können von d’Ambrosio nie gehoben. Das plant nun Ferrari. Und für den Generalumbau der Roten ist der Belgier eine wichtige Stütze, zumal er – für eine Führungskraft in erster Reihe – auch noch sehr jung ist.

Bei Loïc Serra, der zweiten Neuverpflichtung, liegen die Dinge etwas anders. Es war hinter den Kulissen schon lange klar, dass der Performance Director Mercedes verlassen würde – sein Abgang ist gewissermaßen ein Paarflug mit Lewis Hamilton zu Ferrari. Denn die beiden bildeten hinter den Kulissen beide Mercedes eine Einheit, quasi eine Opposition zur technischen Grundausrichtung der jüngsten Silberpfeile. Die Ergebnisse geben ihnen recht: Das Aufhängungskonzept und die Art, wie man Nick- und Wankbewegungen unterdrückt, sind bei Mercedes grundfalsch, deswegen funktionieren weder die Aerodynamik noch die Mechanik. Davor hatten Hamilton und Serra, der einst von Michelin als Reifeningenieur in die Formel 1 gekommen war und dann zu BMW-Sauber, von dort weiter zur Mercedes wanderte, intern schon lange gewarnt. Doch es hat keiner auf sie gehört.

Wer ein bisschen mehr recherchiert, der weiß: Hamilton ist vor allem deswegen zu Ferrari gegangen, weil die Italiener Serra geholt haben. Denn die beiden sind Vertraute. Dass der Serra-Wechsel erst jetzt kommunikativ offiziell gemacht wurde, ist eine reine Formalie. Festgestanden hat er schon lange.

Er war der erste Baustein in einer ganzen Reihe von personellen Veränderungen, die der noch relativ neue Ferrari-Teamchef Frédéric Vasseur gesetzt hat. Der Franzose nimmt die distinguiert italienische Note, die seine Vorgänger beim Formel 1-Team implantiert haben, radikal wieder zurück, setzt auf internationales Spitzenpersonal. Kompetenz schlägt Nationalität, genau auf diese Weise hat Jean Todt als Teamchef Ferrari zu Beginn der Schumi-Ära auf Spur gebracht.

Die Italiener, die das Chaos und den Abschwung der vergangenen Jahre zu verantworten hatten, sind anderswo hin versetzt worden: in die neue Hypercar-Abteilung für den Langstreckensportwagen, den Ferrari in den letzten drei Jahren parallel für die 24 Stunden von Le Mans und die Sportwagen-WM entwickelt hat. Der P499 gewann 2023 gleich bei seinem ersten Einsatz den Klassiker an der Sarthe in Frankreich. Doch je genauer man hinguckt, desto mehr muss man sich wundern: wie das?

Wo die Ferraristi auf der Langstrecke auftauchen, verbreiten sie meist genau jenes Chaos, das Vasseur aus seinem Formel 1-Team verbannt wissen möchte. Beim WM-Lauf in Imola – auf jener Strecke, auf der nun der Grand Prix stattfindet – glaubten sie erst ihrer eigenen Wettervorhersage und den Radarbildern auf den Monitoren an ihrem Kommandostand nicht und ignorierten dann die Wünsche zur Reifentaktik, welche ein Fahrer, James Calado, per Funk vortrug. Und in Spa am Vatertagswochenende wurde man wegen Untergewichts in der Qualifikation bestraft und legte nach dem Rennen einen Protest ein, der nie Aussicht auf Erfolg hatte – nur weil man selbst die Entwicklung nach einem Abbruch falsch verstanden hatte.

Da die 499 von den Regelmachern begünstigt werden, kann Ferrari sich auf der Langstrecke solch’ ein Heckmeck leisten, ohne dass die sportlichen Erfolge zu sehr drunter leiden. Das WM-Programm und Le Mans sind also auch eine Fingerübung für unerfahrene Ingenieure, sich für künftige Formel 1-Einsätze fortzubilden. Oder ein Auffangbecken für all’ diejenigen, die mit der Königsklasse überfordert sind.

Für den Umbruch in der Formel 1, den Weg zurück an alte Spitzenzeiten, ist das Nebenprojekt unablässig. Ohne diese Seitenstraße könnte Vasseur sein radikales Programm für den Hauptkriegsschauplatz niemals umsetzen.


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