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18.05.2023

Narben in der Eifel


Wie sangen die Toten Hosen vor langer Zeit so schön? „Machen wir ‘ne Herrentour // an die schöne Ahr“. Genau da führte am Vatertag – den manche Gleichstellungsbeauftragte inzwischen Herrentag nennen – der Weg zum Nürburgring entlang, wo an diesem Wochenende das 24-Stundenrennen stattfindet.

Und es war ein ziemlich nahegehender Weg. Denn die Ahr, dieses kleine Flüsschen, fließt inzwischen wieder durch die grünen Mischwälder, als könne sie kein Wässerchen trüben. Doch die Eifel trägt noch immer die Narben der großen Überschwemmung von knapp zwei Jahren: An manchen Häusern ist der Putz abgeblättert bis unter die oberen Fenster. Bagger und Kräne dominieren die Dörfer. Straßen, wie etwa zwischen Altenahr und Bad Neuenahr-Ahrweiler, sind immer noch gesperrt. Und an den Leitplanken klebt noch der braune Schlamm, den die Wassermassen an die heran geklatscht haben.

Auf dem Hotelzimmer am Ring liegt eine Postkarte. „We Ahr Open“, steht da drauf. „Noch lange nicht fertig. Aber offen und froh über Deinen Besuch!“ Gänsehaut pur. Man liest die Sehnsucht zurück nach der alten Normalität – und auch das knallharte Bedürfnis nach Einnahmen, denn für viele geht es um die nackte Existenz.

Es sind Eindrücke, die gerade in diesen Tagen doppelt wirken. Denn die Bilder aus der Emilia Romagna erinnern in fataler Weise an die Szenen aus der Eifel damals. Das Alpine-Team musste als erstes sein Hotel räumen, weil die Parkplätze überschwemmt waren – die Mietwagen standen bis zur halben Höhe der Seitenscheiben in braunem Schlammwasser. Das äußere Fahrerlager, in dem die Rahmenrennserien wie etwa der Formel 2 untergebracht waren, waren da längst abgesoffen, im höher liegenden Formel 1-Fahrerlager fürchtete man auch nasse Füße, sodass die Offiziellen zur Evakuierung rieten.

Riolo Terme ist ein kleines Dorf etwas oberhalb von Imola. Mit kleinen Gasthöfen und Restaurants, in denen man für wenig Geld mehr zu Essen bekommt als bei jedem All-You-Can-Eat-Buffet beim Chinesen.

Von der malerischen Schönheit des Ortes ist nichts mehr geblieben. Die braunen Wassermassen haben den Ort förmlich fortgespült. Die Szenen sehen aus wie aus einem Apokalypsefilm. Was sie wirklich bedeuten, kann nur ermessen, wer sich mit den Auswirkungen der Eifelflut befasst. Und das bleibt nicht aus, wenn man am Nürburgring unterwegs ist. Die meisten Gesprächspartner, mit denen man bei der Recherche spricht, sind irgendwie betroffen. Sei es, dass das eigene Haus beschädigt wurde, dass Mietwohnungen unbewohnbar wurden oder dass man hört, wie nach und nach Geschäfte, Restaurants und Kneipen nach und nach zwar wieder aufmachen – aber manche auch immer noch geschlossen sind und das zumindest mit ihren bisherigen Betreibern auch bleiben werden.

Der Santerno hat in und um Imola die wütende Rolle der Ahr übernommen. Der Fluß entspringt in den Apenninen, fließt normaler Weise als ruhiges Gewässer 130 Meter nördlich an der Rennstrecke vorbei. Formel 1- und Rennsportfotografen kennen ihn von ihren Wanderungen hinter den Leitplanken. Als normaler Besucher der Gegend nimmt man ihn kaum wahr. Doch der Starkregen in den Bergen hat ihn zu einem reißenden Strom anschwellen lassen. So schlimm, dass er sogar die Absage des Formel 1-Grands Prix erzwungen hat.

Das Unwetter ist zwar vorbei. Aber die Wassermassen, die aus den Bergen runterkommen, sind noch längst nicht durch. Der Nachschub von flussaufwärts dauert bis zum Wochenende. Deswegen war schon früh klar: Ein Rennen kann man da nicht guten Gewissens fahren. Selbst wenn die Strecke weitgehend verschont geblieben ist – ein WM-Lauf ist immer auch eine mittlere Völkerwanderung. Allein die Mechaniker- und Ingenieurcrews der Teams bevölkern zig Hotels im Umfeld der Rennstrecke, Kolonnen von Mietwagen und -vans schieben sich jeden Tag zwischen Unterkunft und Piste hin und her. Wenn die Infrastruktur derart zerstört ist wie in der Emilia Romagna, dann scheitert das Rennen schlicht an der Logistik: Wo wohnen? Wo lang fahren?

Ganz abgesehen davon, dass die Region andere Probleme hat. Und andere Lösungen sucht. Als weite Teile der Eifel unter Wasser stand, wurde der höher gelegene Nürburgring zu einem Notfallstützpunkt: Die Helfer vom THW und dem Roten Kreuz haben das Fahrerlager genutzt, in den Gebäuden bei Start/Ziel stapelten sich die Sachspenden, und das Lindner-Hotel direkt an der Piste hat seine Zimmer gratis für viele Anrainer geöffnet, denen die Wassermassen ihr Zuhause geraubt haben.

In Imola haben sich die Prioritäten jetzt genauso verschoben. Für die Formel 1 hätte es ein PR-Fiasko gegeben, hätte man den Grand Prix mit aller Macht durchgedrückt. So aber machen die Motorsportler alles richtig: Alpha Tauri, das B-Team von Red Bull, hat zu einem emotionalen Spendenaufruf gebeten. Fahrer Yuki Tsunoda und die Mechaniker haben eigenhändig mit Hand angelegt, um die Wasser- und Schlammmassen aus der Fußgängerzone von Faenza zu fegen und schieben.

Dass ausgerechnet die Equipe von Franz Tost eine Vorreiterrolle beim Benefiz eingenommen hat, ist kein Zufall. Das inzwischen recht langweilig-steril wirkende Team, das aus dem geschichtsträchtigen Minardi-Rennstall hervorgegangen ist, sitzt in Faenza bei Bologna. Und das Hotel, das Alpine evakuieren musste, steht in einem Vorort von Faenza.


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