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22.03.2024

Krieg im Spielzeugland


Manchmal bleibt nur wundern. Wie kann jemand mit einem so drolligen Namen so schnell fahren? Ollie Bearman, so heißt die neue Offenbarung der Formel 1, und sie klingt irgendwie nach einem Sortiment für den Spielwarenladen. Tatsächlich hat der 18-Jährige aus Chelmsford in England beim vergangenen Grand Prix gezeigt, wie die Zukunft der Formel 1 aussieht – und Carlos Sainz damit derart unter Zugzwang gesetzt, dass der Spanier gegen den Rat seiner Ärzte jetzt bereits in Melbourne wieder im Ferrari-Cockpit sitzt.

Bearman muss wieder in seinen angestammten Platz in der Formel 2 zurückgestuft werden. Das war Sainz wichtig. Denn als Sohn des großen Carlos Sainz, der gerade mit 61 zum vierten Mal die brutale Rallye Dakar gewonnen hat, kennt „Carlito“ die Gesetze der Branche: Ausgemustert ist man schnell, wenn aus heiterem Himmel ein neuer Stern an ebendiesem aufgeht – und wenn man selbst ohnehin schon auf dem Abstellgleis geparkt ist wie Sainz bei Ferrari, der ja 2024 seine Abschiedstournee bei den Roten bestreitet.

Der Madrilene muss eins um jeden Preis verhindern: dass der Aufstieg Bearmans zu seiner eigenen Demontage wird. Denn Sainz kämpft um seine Formel 1-Zukunft – in einem Jahr, in dem die Silly Season der Fahrer- und inzwischen auch Ingenieurwechsel früher begonnen und verrückter geworden ist als je zuvor. Sainz einzige Chance: dass Audi ihn frühzeitig unter Vertrag nimmt, um beim Einstieg anno 2026 schon mit ihm zusammen die Grundlagen gelegt zu haben und dann mit einem Spitzenfahrer loslegen zu können.

Kleiner Wackelkontakt am Rande: Audi hat zwar gerade das malade Sauber-Team zu 100 Prozent übernommen und kommunikativ versichert, nun sei der Formel 1-Einstieg endgültig gesichert. Tatsächlich aber kann die an sich ungeplante Totalübernahme der Hinterbänkler aus dem Zürcher Oberland auch bedeuten, dass Audi nun das Team schnell und unkompliziert weiter veräußern kann. Denn in Stein gemeißelt ist der Formel 1-Einstieg der kriselnden Automarke aus Ingolstadt noch immer nicht, nachdem die Manager sich bei der Kostennutzenrechnung und vor allem bei den Anfangsinvestitionen gleich mal um mehrere hundert Millionen verrechnet haben.

Wenn Sainz nun nur auf Audi spitzt, kann er am Ende mit Zitronen gehandelt haben. Aber die Bayern sind seine einzige Chance. Alle anderen Topplätze sind belegt. Und die schwankenden Leistungen von Sainz in den vergangenen Jahren stellen ihm nicht gerade ein gutes Zeugnis für seine Bewerbungsschreiben aus. Bei Ferrari hingegen haben die Teamoberen erkannt: Oliver Bearman ist so gut, dass man ihm eine Perspektive bieten muss, um ihn langfristig zu binden. Ist ein Platz als Simulator- und Ersatzfahrer Aussicht genug? Ist ein Platz bei Haas, dem Ferrari-Satellitenteam, ausreichend? Oder muss man ihn doch schon frühzeitig befördern? Vielleicht sogar in diesem Jahr schon – anstelle von Sainz, auf den man ohnehin nichts mehr setzen braucht?

Wenn solche größeren Überlegungen im Hintergrund schwelen, dann sind laufende Verträge schnell mal nicht mehr das Papier wert, auf dem sie unterschrieben wurden.

Ferrari hat sich mit dem angehenden Superstar Bearman ein Problem ins Haus geholt, aus einer Richtung, aus der man es nicht hat kommen sehen können. Der Bursche ist einfach zu gut. Er macht die Verpflichtung von Lewis Hamilton für 2025 zu einem fragwürdigen Schachzug, man muss es konstatieren: Bearman wäre für nächste Jahr die bessere Wahl als der alternde Megastar von früher. Hamilton steht für die Vergangenheit, Bearman für den Aufbruch in eine bessere Zukunft, den Ferrari so dringend nötig hat.

Dabei wirkt der Junior noch reichlich unbedarft. Er spricht offen über die eigene Nervosität; man sieht, dass seine Nackenmuskulatur für die Fliehkräfte eines Formel 1-Boliden nicht trainiert genug. Aber er hat einen Vorteil, neben seinem einen Talent: Er ordnet sein ganzes Leben dem Streben nach einer Formel 1-Laufbahn unter. Er ist von Chelmsford nach Italien gezogen, um bei seinem Formel 2-Team, Prema, und bei Ferrari zu wohnen. Er geht nur noch an zwei Tagen pro Woche zur Schule, sitzt ansonsten in Simulatoren oder bei technischen Besprechungen oder geht testen, zuletzt sogar in ausrangierten Formel 1-Ferrari auf deren Hausbahn in Fiorano, um möglichst schnell möglichst viel lernen zu können. Bearman legt eine Ernsthaftigkeit an den Tag, die in dieser Konsequenz längst nicht alle Nachwuchshoffnungen zeigen. Denn er stammt aus relativ einfachen Verhältnissen: Sein Vater betreibt mit zwei Geschwistern eine Versicherungsagentur in London. Die warf soviel ab, dass man damit die ersten Rennjahre von Dreikäsehoch Ollie finanzieren konnte – aber nicht genug für teurere höhere Nachwuchsformeln. Die Unterstützung der Ferrari-Akademie ist seine einzige Chance – und seine Entschlossenheit, die zu nutzen, sein größtes Pfund.

Der Einstand in Dschidda hat gezeigt, aus welchem Holz Bearman wirklich ist: Man muss sofort bei der Musik sein, um Formel 1-Chefs und -Ingenieure, deren Meinung hinter den Kulissen so viel zählt, von sich zu überzeugen. Ein Lehrjahr, ein Herrenjahr wie bei Mick Schumacher – das zeugt nicht von weltmeistertauglichen Anlagen, sondern nur von Mittelmaß. In den niedrigeren Klassen mag das noch reichen, in der Formel 1 wird gnadenlos ausgesiebt. Bearman hat mit seinem Debüt in Saudi-Arabien die Messlatte hoch gelegt wie seit Michael Schumacher im Jordan in Spa keiner mehr.

Und er hat Sainz trotz Schmerzen nach seiner Blinddarm-OP wieder ins Cockpit gezwungen. Mit einem Schaumstoffpölsterchen auf der invasiven Miniwunde, die den Druck des Gurts von der Einstichstelle nimmt. Der Blinddarm von Sainz hat einen neuen Superstar aus den Untiefen der Nachwuchsserien schlagartig ins Rampenlicht der Königsklasse gezerrt. Das Bürschen mit dem drolligen Namen verkörpert die Zukunft der Formel 1 – und den einzig ernstzunehmenden Gegner für Max Verstappen.

Und der ist ja eigentlich genau so eine Überraschung wie Bearman: Wer regelmäßig auf der A31 die ganzen langsamen gelben Nummernschilder auf der linken Spur erleben muss, der kann sich auch nicht vorstellen, dass das Land dieser Autofahrer einen so schnellen Mann hervorbringen kann.


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