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27.01.2023

In der Steilwand: Ode an Daytona


Der Pelikan schwebt mit sanften Schwingen über die brausenden Wogen. Sein Bauch scheint den kabbeligen Atlantik zu berühren, wie er den Ozean nach einem kleinen Fisch zum Frühstück abscannt. Lautlos gleitet der etwas unförmig wirkende Vogel durch die Gischt, parallel zur Waterkant von Daytona Beach.

Ein paar Meter weiter holt sich ein Schwarm Möwen nasse Füße in einer Pfütze, welche die Flut am Strand hinterlassen hat – Relikte vom Hochwasser in der Nacht. Es wird Tag in Daytona Beach, diesem langgezogenen Städtchen am Küstenstreifen, das hinter einem Haff ins Landesinnere hinein wächst und in dessen Herzen das mächtige Daytona International Speedway mit lauten Motoren pocht.

Über dem Meer taucht die aufgehende Sonne den Himmel in ein warmes Orange. Die Farben am Firmament wechseln im Minutentakt. Das tiefe Orange weicht einem milden Sonnenaufgang, bis sich schließlich der Frühling seine Bahn bricht. Die Sonne strahlt, doch die Temperaturen bleiben empfindlich kalt – und die Nacht mit ihrer Dunkelheit dauert länger als üblich. Mehr noch: Es ist fies kalt, wenn der Himmel sich schwarz verfärbt.

Dem Charme von Daytona kann sich niemand entziehen. Die Hotels ragen als Hochhäuser über den Strand. Sie sind auf dem Stand der Achtziger stehengeblieben: klappernde Holztüren, reichlich abgegriffen; quietschende Wasserhähne und Duschen, die eher tröpfeln als rinnen. Das Personal legt die typisch amerikanische Freundlichkeit an den Tag: Wie geht's? Kann ich noch irgendwas tun? Ist heute nicht zufällig Dein Geburtstag?

Es ist oberflächlich, aber es vermittelt einem das Gefühl, willkommen zu sein.

Keiner, der je in Daytona war, vergisst seinen ersten Besuch. Die erste Fahrt im eigenen Auto über den Strand. Der erste Besuch in einem Denny‘s-Schnellrestaurant, wo es Breakfast All Day mit endlosem Kaffee-Refill gibt – und wo der Lumberjack Slam zum Frühstück schon reicht, um den ganzen Tag nichts mehr essen zu müssen. Der erste Blick aus dem Hochhaus über den orangenen Atlantik. Die erste Fahrt über die lange Brücke – und durch den engen, rumpligen Tunnel, der unter der letzten Steilkurve ins Innenfeld des Ovals führt. Der erste Ausflug zum alten Leuchtturm am Südzipfel der Nehrung. Das erste Bummeln durch einen der vielen Merchandisingläden, in denen man den Verlockungen der farbenfrohen Fanartikel aus der NASCAR-Welt nicht widerstehen kann – und man sich hinterher fragt, wie ein viel zu kleiner Plastiktrolley mit Dale-Earnhardt-Motiv jemals den Weg ins eigene Heim finden konnte.

Der Motorsport beherrscht die ganze Stadt. Restaurants und Kneipen locken mit ausgestellten NASCAR-Autos und Deko in der Farbgebung von schwarzweißkarierten Fahnen. Aufkleber und Aufsteller bewerben das World Center of Racing mit The World's Greatest Race. Daytona ist Urlaub mit Motorsport – oder andersrum.

Die Stadt lebt von den Rennbesuchern – und von Elderly People. Die silberne Generation rückt alljährlich im Herbt aus den kälteren nördlichen Regionen der USA an, um im milden Florida zu überwintern – oder gönnt sich ein paar Tage Urlaub, wenn's daheim zu chilly wird. Das führt zu wunderlichen Begegungen: Oma und Opa sitzen gemütlich am Frühstückstisch – und schauen mit großen Augen rüber zu den hektischen Gästen, die gekommen sind, um beim Rennen zu arbeiten.

Das Freizeitprogramm ist entsprechend. Es gibt jede Menge Halbschnellrestaurant mit schönen Namen wie Red Lobster, in denen man in Windeseile sein Surf and Turf für Unsummen verdrücken kann. Hooters, Wendys, Checkers – Restaurantketten prägen das Stadtbild. Direkt gegenüber vom Speedway steht ein Anglerfachgeschäft im Format eines deutschen XXL-Supermarkts. Gleichzeitig findet man Partykneipen, die auf das nächste Großereignis warten: den Spring Break, wenn Schüler und Studenten einfallen, um in ihren Ferien ausgiebig zu feiern.

Erlebnis-Minigolfplätze, eine Drive-In Church und die offizielle Erlaubnis, mit dem eigenen Auto über den Strand fahren zu dürfen – alles in Daytona ist irgendwie wunderlich. Die Stadt nimmt einen gefangen. Nirgends kann man einen Rennbesuch so gut mit einem Freizeitprogramm zu zweit verbringen wie hier. Der Weg vom Strand an die Strecke – ein Klacks. Ein Mal über eine große Brücke, vorbei an einem Sammlerparadies für Vinyl-Schaltplatten, einem Liquor Store und zwei riesigen Shopping Malls – und schon taucht man ein in die jeweils andere Welt.

Daytona ist nicht Sylt, auch wenn gerade die älteren Gäste es gern dafür halten. Aber genau wie auf der Nordseeinsel, gibt es auch im langgezogenen Ort in Florida eine Atmosphäre, die ganz und gar einzigartig ist – und die nirgends sonst jemals so zustande kommen könnte. Ein Sylt für Amis vielleicht.

Romantik trifft Racing, Fun trifft Fahr'n. Das ist das einzigartige Flair von Daytona. Beim Sportwagenrennen Ende Januar ist es noch vergleichsweise ruhig. Wenn die NASCAR-Gemeinde einfällt, geht's schon rauer zu. Aber auch dann bleibt jene grundsätzliche Freundlichkeit und Kameradschaft, die Daytona seit jeher zu eigen ist.

Wer Daytona ein Mal erlebt hat, der will immer wieder zurück. Und zwar nicht allein. Denn der Küstenort ist ein Garant für einzigartige Augenblicke, die man teilen möchte.

Nicht zuletzt die Besuche bei den Pelikankolonien an jenen Seebrücken aus altem, knorrigem Holz, die weit in den Atlantik ragen.

Bei jeder Reise, die einen allein nach Daytona führt, spürt man eine tiefe Dankbarkeit – dafür, dass man schon mal zu zweit da gewesen ist.


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