20.10.2023
Die Grand Prix kommt zur Unzeit. Zumindest für den inneren Zirkel der Formel 1 – und für kritische Beobachter, die sich nicht nur um die Grand Prix-Szene, sondern um den Motorsport ganz allgemein kümmern. Denn er dreht den Scheinwerfer genau auf die Hintergründe einer Debatte, welche die Szene spaltet.
Die Insider bemängeln, dass ihre Königsklasse in letzter Zeit immer mehr den Showelementen der noch recht neuen amerikanischen Rechteinhaber anheim falle; dass Liberty Media die Formel 1 zu sehr amerikanisiere. Und wer mit wachen Augen durch den gesamten Rennsport flaniert, dem ist das Spektakel beim Petit Le Mans auf der Road Atlanta im US-Bundesstaat Georgia am vergangenen Samstag nicht entgegen.
Das 10 Stunden dauernde Langstreckenrennen war das Finale der IMSA-Serie, also der Nordamerikanischen Sportwagenmeisterschaft. 52 Autos aus vier Klassen balgten sich vom Mittag bis in die tiefe Dunkelheit auf einer Berg- und Talbahn mit Rundenzeiten von knapp über 1.10 Minuten. Unfälle, Rempeleien und happige Abflüge waren an der Tagesordnung. Und schon bei der Startvoraufstellung wurde jede Dreimannbesatzung aus jedem Wagen typisch amerikanisch vorgestellt: mit je ein paar Takten Hardrock oder Heavy Metal als Intro, von Ozzy Osbourne bis Twisted Sister, und Verlesens der Namen im Stil der Intros von Boxkämpfen, dahingebölkt mit langgezogenen Vokalen.
Das Petit Le Mans vereint all’ das, was in der Formel 1 verpönt ist: harter Rennsport mit Publikumsnähe und mitreißenden Veranstaltungskonzepten. Die neuen Vermarkter möchten all’ das auch einführen, doch die ultrakonservativen Mitglieder der Fahrerlagergemeinde und vor allem des Weltverbands FIA mühen sich, solchen Fortschritt zu unterdrücken. Weil es dabei vor allem um einen Machtkampf zwischen Verbandsfunktionären und Vermarktern aus dem freien Markt geht, blockiert diese Auseinandersetzung die ganze Formel 1.
Zugespitzt auf die Kernthese, geht es nur darum: Wer hat das Sagen in der und über die Formel 1? Der Weltverband – oder jene Agentur, die ihre kommerziellen Rechte vermarktet?
Die Zeiten, dass beide Parteien in dieselbe Richtung vom selben Strang zogen, sind vorbei. Seit zwei Jahren schon gibt es ein Gezerre hinter den Kulissen, dass in Debatten über die Zulassung von Andretti Autosport als neues Team oder jüngst in Entsetzen über völlig aus dem Rahmen fallende Geldstrafenkataloge für die Fahrer gipfelte.
Man kann argumentieren: Bei der Formel 1 sind die Ränge immer voll, die Medien kommen in Scharen. Also macht sie alles richtig. Aber das ist womöglich zu kurz gedacht. Man bemühe nur das Beispiel der deutschen Fußballnationalmannschaft. Die hat gezeigt, wie schnell aus einem Boom eine Übersättigung werden kann, wenn die Prioritäten falsch gesetzt und die Hauptdarsteller immer wunderlicher und abgehobener werden. Also: Die Formel 1-Hauptdarsteller sollten sich ihre nächsten Schritte genau überlegen, um sich nicht eines Tages in eine Abwärtsspirale zu stürzen.
Die IMSA-Serie – ja die ganze Sportwagenszene, denn die WM mit vergleichbaren Autos brummt gerade ganz genauso – geht dagegen den genau anderen Weg. Erst in diesem Jahr kommen mehr Zuschauer als je zuvor. Und auch mehr Teilnehmer, vor allem werksseitig. Porsche ist in die erste Liga zurückgekehrt, bald kommen Lamborghini und Alpine, Ford mit Mustang bereichert die GT3, also die Zweite Liga. Und Aston Martin mit einem Hypercar, das sowohl in der WM als auch in der IMSA fahren wird – und von den Amerikanern mit offenen Armen empfangen wird.
Die Formel 1 sperrt sich dagegen gegen die Neuaufnahme von Andretti. Die einen möchten unter sich bleiben, die anderen öffnen sich und freuen sich über jeden Neuzugang, der ihre Szene und ihre Felder bereichert. Perspektivisch ist das sicher der bessere Weg, denn man darf nicht davon ausgehen, dass jene Teams und Marken, die gerade in einer Rennserie unterwegs sind, auch dabei bleiben. Die Formel 1 setzt auf Artenerhaltung, die Sportwagenszene auf Artenvielfalt.
Zwar hat Audi angekündigt, ab 2026 in die Formel 1 kommen zu wollen, indem man das Sauber-Team übernimmt. Doch diese Pläne wackeln. Die Ingolstädter haben zwei Milliarden Etat für ihren Einstieg budgetiert, wissen aber jetzt schon: Sie brauchen mindestens drei. Und von der These, mit der Formel 1 Geld verdienen zu können, sind sie inzwischen auch aufgewacht. Der Einstieg steht auf einem wackligeren Fundament denn je zuvor. Und wenn man Andretti – der ebenfalls Sauber hätte kaufen wollen – die Tür weiter zuhält, dann bleibt die Formel 1 „a closed shop“, eine geschlossene Gesellschaft, während die Sportwagen für eine sympathische weltoffene Willkommenskultur steht.