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15.06.2023

Doppel-Kopf


Größer könnten die Gegensätze kaum sein. Vergangene Woche sahen 325.000 Zuschauer einen Sieg von Ferrari bei den 24 Stunden von Le Mans – mit einem Auto, das gerade in seiner ersten Saison fährt. In der Formel 1 hingegen wird die italienische Traditionsmarke dagegen regelmäßig abgewatscht – bei Grands Prix, die gerade mal zwei Stunden lang sind.

Wie können zwei Werksprogramme, in die jeweils hunderte von Millionen gepumpt werden, so weit auseinanderklaffen?

Die 499 P, von denen zwei in Le Mans im Einsatz waren, sind von einer völlig anderen Infrastruktur umgeben als die Formel 1-Wagen. Das Chassis stammt von Dallara. Die Ingenieure in Parma haben auch einen Großteil der Entwicklungsarbeit am Kohlefaserchassis vorgenommen. Erst in der finalen Phase, als die grundsätzliche Formensprache des Autos definiert war, ist die Gestione Sportiva, die Formel 1-lastige Motorsportabteilung in Maranello, intensiver mit eingebunden worden. Die ersten 499-Modelle kamen in den Windkanal; nach jeder Sitzung im Windtunnel folgte ein ausgiebiger Test im fahrdynamischen Simulator, um die Ergebnisse aus dem Windkanal zu verifizieren.

Dabei nutzte die Sportwagenabteilung für die digitale Arbeit mit dem Hypercar für Le Mans allerdings nicht denselben Simulator wie die Formel 1-Crew – sondern jene ältere Version, die vom Formel 1-Team gerade zugunsten eines neuen Driver-in-the-Loop ausgemustert worden war.

Die Einsätze des Hypercars werden nicht direkt vom Werk vorgenommen, sondern von einem italienischen Satellitenteam, AF Corse. Die Mannschaft verfügt aus GTE- und GT3-Zeiten über immense Langstreckenerfahrung und bügelt taktische Schwächen der Werksingenieure aus.

Zugleich ist das Auto einfacher: Die aerodynamischen Richtwerte sind von den Regeln vorgeschrieben und ohne viel Aufwand zu erreichen. Zudem fehlt der störende Einfluss der freistehenden Reifen, um die herum in der Formel 1 je nach Lenkwinkel und Rotationsgeschwindigkeit verschiedene, aber stets heftige Wirbelstürme tosen. Die Autos sind nicht so filigran und windanfällig wie Grand Prix-Autos. Obendrein sind die Reifen von Michelin besser als die heiklen Pirelli aus der Formel 1. In den Grand Prix geht’s in erster Linie um Reifenschonen, auf der Langstrecke um Reifennutzen.

Die einzige Gemeinsamkeit ist der Motor. Der Block des V6-Hybrid im Le Mans-Siegerfahrzeug ist baugleich zu jenem aus dem Formel 1-Boliden – und auch in jenem Ferrari 296 GT3, mit dem das kultige Frikadelli-Team das 24-Stundenrennen auf dem Nürburgring gewonnen hat. Auch die Hybridkühlung ist beim Le Mans- und Formel 1-Auto sehr ähnlich. Und die Motorelektronik wiederum ist beim 499P und dem 296 GT3 identisch, was wiederum dem GT3-Modell im direkten Vergleich zu den Kundenautos anderer Hersteller sehr zugute kommt.

Auffällig: Am Nürburgring war eine große Anzahl von Ingenieuren aus dem Hypercarprogramm in der Box von Rinaldi Racing, dem Einsatzteam der beiden Ferrari-Privatteams von Sieger Klaus Abbelen und Georg Weiß. Und in Le Mans wiederum, das sich heuer ausnahmsweise nicht mit dem Grand Prix in Montréal überschnitt, ließ Ferrari ein Gros der Formel 1-Motorbelegschaft antanzen.

Als Ferrari zuletzt beide Topligen – Le Mans und Formel 1 – bespielte, konzentrierten die Italiener sich bis zum Langstreckenrennen im Juni historisch häufig mehr auf Le Mans als auf die Königsklasse. Das ist allerdings mehr als 50 Jahre her. Seitdem hat sich der Fokus auf die Formel 1 verschoben. Das Hypercarprogramm allerdings ist intern höher aufgehängt als man von außen sehen kann: Das neue Ferrari-Management möchte nicht mehr die reine Emotionalität der Marke bemühen, sondern gezielt den Nachhaltigkeitsgedanken bewerben. Im Mittelpunkt steht dabei die Kommunikation zur Hybridisierung der Seriensupersportwagen. Und dazu eignet sich das Hypercar, das in dieselbe Kerbe haut wie die Traumautos für die Straße, besser als die abgehobene Formel 1.

Aus der Königsklasse stammt der Mythos Ferrari. Ein Mythos, der regelmäßig eine sehr hohe Erwartungshaltung ausbrütet. Und die fällt dem Formel 1-Team regelmäßig vor die Füße: Kurze Intermezzi an der Spitze werden regelmäßig von langen Flauten abgelöst, in denen dann die Kritik wie ein Giftpfeilhagel auf die Scuderia einprasselt. So wie jetzt gerade.

Teamchef Frédéric Vasseur betätigt sich deshalb öffentlich als Schönredner, dessen Aussagen häufig von Realität und Logik abweichen. Der Franzose tut das, um sich vor seine Mannschaft zu stellen – damit die nicht vor lauter Erfolglosigkeit und Kritik ihre Motivation verliert.

Der Adhocsieg von Le Mans setzt plötzlich ganz andere Emotionen frei. Er nimmt in Maranello zunächst mal Druck vom Kessel. Doch wenn sich jetzt weitere Erfolge anschließen, wird sich das Bild schnell wieder wandeln: Dann wird die Leistung des Grand Prix-Teams sowohl von den kritischen und emotionalen Medien als auch firmenintern noch kritischer hinterfragt, die Sympathien und der Fokus verschieben sich dann auf die Langstrecke.

Der Le Mans-Sieg ist also ein Katalysator, der direkte Folgen auf die Formel 1-Leistung haben wird. Die Frage ist nur: In welche Richtung?


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