19.05.2022
Jetzt geht die Trickserei los. Und Ferrari hat damit begonnen – mit einem angeblichen „Filmtag“ in Monza. Der war in Wahrheit ein verdeckter Test für ein ganz neues Aerodynamikpaket – drum war der Königliche Park bei Mailand auch so hermetisch abgeriegelt, dass es nur wenige Fotos von den skandalträchtigen Probefahrten gab.
Der Witz an der Sache: Die Entwicklungskosten sind neuerdings gedeckelt. Deswegen muss jeder Schuss von Neuteilen sitzen, sonst verplempert man Geld. Und auch die Anzahl der Testtage, die jedes Team fahren darf, ist per Regelwerk eingeschränkt.
Marketingausgaben zählen aber nicht zu jenen Kosten, die in die Etatobergrenze eingerechnet werden. Ein Filmtag, bei dem offiziell ein angeheuertes Kamerateam Fahraufnahmen für einen Werbe- oder Imagefilm – etwa zum Vorzeigen bei Sponsorenpräsentationen – dreht, zählt aber zu Marketing. Und damit nicht zu den verbotenen Ausgaben.
Gerade in Monza kann man solche Car-to-Car-Aufnahmen, bei denen ein Kameramann aus dem aufgeklappten Kofferraum eines vorausfahrenden das hinterdrein brausende Formel 1-Auto filmt, wunderbar nutzen, um sogenannte „Aero Runs“ mit dem Grand Prix-Wagen zu fahren. Dabei muss das Rennauto gar nicht so schnell gefahren werden, wie Streckenlayout und Technik es hergeben. Vielmehr hält man den Wagen per vorher eingestelltem Tempomat stets auf einer bestimmten zivilen Höchstgeschwindigkeit, von 60 bis 140 sind alle Zwischenschritte denk- und programmierbar, Hauptsache konstant gehalten.
Bei diesen Tempi sammeln die Sensoren im, am und unterm Auto alle möglichen Daten über Druckzonen und Luftströme. Dank der konstanten Geschwindigkeit auf allen Geraden und auch in allen Kurven, die das anliegende Tempo vertragen, können die Ingenieure optimale Vergleiche ziehen und die Aerodynamik des Wagens in allen Lebenslagen und Fahrsituationen analysieren und schematisieren.
Und das Tempo ist gleichzeitig so hoch, dass bei Car-to-Car-Aufnahmen genau die richtigen Aufnahmen entstehen: Man kann die Geschwindigkeit einfangen und sichtbar machen, ohne dass der Fahrer des Vorausfahrenden und der im Kofferraum eingezwängte Kameramann oder Fotograf unnötige Risiken bei der Fahrt eingehen müssen.
So verprobte Ferrari quasi im Vorbeifahren einen ganz neuen Heckflügel, dessen Hauptblatt völlig anders geformt ist als bei jener Version, die man bei den bisherigen Grands Prix nutzte. Und das kann den Ausschlag geben. Denn in Barcelona ist wieder eine Hochabtriebskarosserie nötig. Damit besteht die latente Gefahr, dass das berüchtige Porpoising wieder auftaucht – also das Pulsieren, das Sich-Aufschaukeln der Autos auf den Geraden. Der neue Heckspoiler mit seinem flacheren Hauptelement erzielt gleich viel Abtrieb wie der Vorgänger bei deutlich weniger Luftwiderstand. Er kommt als sogenannte „High-load-Variante“ daher, also als ein Bauteil, das hohe aerodynamische Drücke möglich macht. Und aushält, ohne bei wechselnden Fahrtwindsituationen Abtrieb zu verlieren oder gar den gefürchteten Strömungsabriss zu provozieren.
Zum Upgradepaket gehört auch ein neuer Unterboden mit anders geformten Kanälen, neue Querlenker, modifizierte Bremsbelüftungshutzen sowie enger geschnittene Seitenkästen, in denen die Kühler untergebracht sind. All’ das dient in erster Linie dem Zweck, das Pulsieren zu unterdrücken. Aber der Heckflügel und die wespentaillenartigen Seitenkästen reduzieren auch den Luftwiderstand. Interne Hochrechungen an den Simulationscomputern von Maranello haben ergeben: Die neuen Teile bringen Ferrari pro Runde zwei bis drei Zehntel.
Und just das Verhältnis von Abtrieb zu Luftwiderstand, die Aero Efficiency, ist gerade in Barcelona immens wichtig. Denn obwohl sich im rückwärtigen Teil ein Geschlängel befindet, dessen Kurven viel Abtrieb verlangen, braucht man eigentlich eher eine Medium-Downforce-Abstimmung. Schließlich ist die Start/Ziel gerade außergewöhnlich lang, und auch der Weg vom Start in die erste Kurve misst deutlich mehr Meter als auf den meisten anderen Rennstrecken. Da möchte man ein windschnittiges Auto.
Die unter dubiosen Umständen ausgeknobelte neue Ausbaustufe des Ferrari bietet genau das. Kein Wunder, dass WM-Gegner Red Bull intern schon auf die Barrikaden geht – und bei den Regelwächtern Stimmung macht, das Vorgehen des „Filming Day“ genau zu prüfen.
Allerdings: Red Bull würde im Zweifel genauso agieren. Und hat im bisherigen Saisonverlauf sogar schon erheblich mehr Geld für Neuteile ausgegeben als Ferrari. Da inzwischen der Grand Prix von Sotschi ersatzlos gestrichen ist, könnte das große Geldausgeben dem Brauseteam auf den Kopf fallen. Ferrari entwickelt auch Trick 17b beim Testen gerade effizienter als die Engländer – und haben deswegen für den Rest der Saison mehr Möglichkeiten, zu reagieren und flexiblere kleinere Ausbaustufen zu zünden.
Bei den letzten zwei Großen Preisen ist Red Bull an den Roten vorbeigezogen. Diesen Trend scheinen die Italiener gerade höchst langfristig wieder umzukehren.