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27.07.2023

Der Tod fährt mit


Die Diskussion muss kommen. Ist Spa in der aktuellen Streckenführung noch zeitgemäß? Nach zwei tödlichen Unfällen auf dem Bergaufstück nach der Senke von Eau Rouge gibt es naturgemäß Debatten über die Sicherheitsstandards an der Strecke.

Anfang Juli starb Dilano van't Hoff, ein 18-jähriger Niederländer, in einer Aufsteigerformel, die eine Klasse unterhalb der Formel 3 anzusiedeln ist. Nachdem 2019 in unmittelbarer Nachbarschaft zur jetzigen Unfallstelle der Franzose Anthoine Hubert, ein Freund des heutigen Ferrari-Stars Charles Leclerc, tödlich verunglückt war.

Die Streckenpassage ist berüchtigt. 1985 schon starb Stefan Bellof, angehender Ferrari-Formel 1-Fahrer aus Gießen, bei einem Sportwagen-Langstrecken-WM-Lauf in einem Gruppe C-Porsche. Zwar etwas weiter unten, in der eigentlichen Senke über den roten Bach hinweg, aber dennoch im selben Bereich. Und als 1994 die Tragödien um Roland Ratzenberger, Ayrton Senna und Karl Wendlinger passierten, wurde in Eau Rouge sogar eine Schikane eingebaut, um das Tempo runterzubringen und die Gefahrenstelle zu entschärfen.

Damals war das eine Notreaktion, getrieben von der Furcht, dass die schwarze Serie anhalten könnte und dass die Verbesserungen bei der passiven Sicherheit der Autos nicht schnell genug kommen konnten. Jetzt werden wieder Modifikationen an der Streckenführung gefordert, um Eau Rouge langsamer nehmen zu müssen und dann auch das Tempo in der Raidillon – zu Deutsch: Steigung – nach der Senke runterzuzwingen.

Klar ist Spa-Francorchamps die gefährlichste Rennstrecke im Formel 1-Kalender. Aber man darf auch nicht übersehen: Die meisten Pisten, auf denen in den USA die IndyCar und die IMSA-Sportwagenmeisterschaft, sind deutlich gefährlicher – mit kleineren Auslaufzonen, mit Mauern nahe an der Strecke, mit Bodenwellen und Huckeln. Und alle Fahrer, mit denen man spricht, sagen unisono, es mache ihnen viel mehr Spaß auf US-Strecken zu fahren als auf den sterilen Formel 1-Pisten europäischer Prägung. Denn sie wissen: Die Herausforderung ist größer, man muss besser fahren können und auch eine stringentere Risikoabwägung kalkulieren.

Gefahr gehört zum Motorsport dazu. Natürlich will niemand Verletzte sehen, und jeder Tote ist einer zu viel. Deswegen werden immer wieder neue Maßnahmen an den Autos ergriffen, um deren passive Sicherheit zu erhöhen. Der Heiligenschein genannte kastenförmige Aufprallschutz um den Helm herum steht dafür als offensichtlichstes Beispiel. Aber auch Knautschzonen in der Nase und hinterm Getriebe sowie Seitenaufprallschutz inklusive einer Ummantelung der Cockpitflanken mit Zylon, einer kugelsicheren Folie, sollen dafür sorgen, dass schlimme Unfälle ausbleiben.

Allerdings ist irgendwann der menschliche Körper die Schwachstelle. Wenn Autos nicht mehr zerbersten, wird die Kraft eines Aufpralls nun mal an den Körper weitergegeben, an die Innerereien, und die stoßen dann unweigerlich an ihre Grenzen. Im Motorsport-Englisch heißt so etwas: A Freak Accident. So nennt man einen Unfall, bei dem alle ungünstigen Faktoren zusammenkommen und sich zu einer schlimmstmöglichen Verkettung unglücklicher Umstände vermengen.

Klar ist auch: Auf einer schnellen Strecke wie Spa, mit einer Mutpassage wie Eau Rouge, steigt das Risiko solcher Megaunfälle überproportional an. Doch es fällt auch auf: In der Formel 1 und in der absoluten Spitze wird mit so viel Augenmaß gefahren, dass schlimme Unfälle so gut wie nie vorkommen. In den Nachwuchsformeln dagegen sind böse Abflüge deutlich häufiger. Denn die jungen Wilden wiegen sich oft in trügerischer Sicherheit, weil sie immer wieder sehen: Auch bei Hightech-Abflügen passiert heutzutage kaum mehr etwas. Deswegen nehmen sie mehr Risiko in Kauf, halten im Blindflug mehr rein und legen eine Sorglosigkeit an den Tag, die in neun von 10 Fällen gutgeht. Wenn es dann schiefläuft, sind die Folgen um so verheerender.

Ohne Aggression geht es im Motorsport nicht. Und wer Schiss hat, schafft es niemals an die Spitze. Aber eine Risikoeinschätzung ist unabdingbar. Das gehört zum Reifeprozess von jungen Rennfahrern mit dazu. Und auf dem Weg dorthin passieren Unfälle. Unweigerlich.

Dass es jetzt Debatten um die Streckenführung gibt, verlagert die Diskussion auf einen Nebenkriegsschauplatz. Natürlich kann man die Risiken immer weiter minimieren, aber irgendwann wird's dann fade. Für die Fahrer – aber auch für die Zuschauer. Die Piloten wissen um die Gefahr. Und sie blenden das Risiko immer ein Stück weit aus. Jacky Ickx, einer der größten Rennfahrer der Sechziger und Siebziger, hat schon vor Jahren gesagt: Jeder Pilot ist von sich und seinem Fahrkönnen derart überzeugt, dass er sich jeden Tag einredet, ihm selbst könne ja gar nichts passieren; treffen könne es immer nur die Anderen, die nicht so gut seien wie man selbst.

Gefahr gehört dazu. Das schreibt sich von außen leicht. Gerade PITWALK-Chef Norbert Ockenga ist aus eigener journalistischer Erfahrung klar, wie unermesslich schmerzlich tödliche Unfälle für die Hinterbliebenen sind: Ich habe mit den Witwen von Bellof und Manfred Winkelhock schon tiefschürfende, hoch emotionale Geschichten gemacht. Kein Witwenschütteln im Boulevardstil, sondern einfühlsame Storys.

Beide Witwen haben den Schmerz bis heute nicht verwunden – und die Unfälle waren beide anno 1985.

Die Hefte mit den Geschichten sind übrigens nicht umsonst längst vergriffen.

Jedes Opfer ist eines zu viel. Aber selbst Rennfahrer sagen von sich selbst, man könne sich nicht in Watte hüllen und alles sein lassen, was unter Umständen gefährlich sein könnte. Anregungen zu verbesserter Sicherheit sind hochwillkommen. Aber übertriebene Forderungen, verfasst aus reiner Theorie vom Schreibtisch aus, sind übertrieben.

Deswegen fällt viel von dem, was vor Spa verfasst wurde, in dieselbe Kategorie wie angebliche Löwensichtungen im Süden Berlins.


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