01.09.2022
Fast könnte man meinen, Fernando Alonso sei immer noch ein Siegfahrer. Der Spanier ist vor dem Großen Preis der Niederlande wieder mal in aller Munde. Weil er sich – auch wieder mal – medial geschickt in Szene setzt. Mit einer Entschuldigung an Lewis Hamilton, den er im Bordfunk nach der Startrundenkollision von Spa noch als Idioten tituliert hatte.
Kein Fahrer versteht es, die Macht der Bilder so gut zu nutzen wie der Exweltmeister aus Oviedo. Dabei malt er von sich immer wieder das Bild des charmanten Latino, der kein Wässerchen trüben kann – obwohl er in Wahrheit das genaue Gegenteilt ist: Ein rücksichtsloser Egoist mit einem Selbstbewusstein, das länger ist als die ganze Nordseeküste von Zandvoort bis hoch zur Autoverladung nach Niebüll am Hindenburgdamm – und mit einem Hang zu impulsiven Ausrastern, die ihn bei allen möglichen Teams immer wieder in Schwierigkeiten bringen.
Bei Toyota hat eine solche Eskapade sogar zum Rauswurf aus dem Le Mans-Team der Japaner gefühlt: Nachdem er eine taktische Anweisung in der Endphase eines Langstreckenrennens nicht verstanden hatte und als Stallregie zu seinen Ungunsten missinterpretierte, warf er in der Box mit üblen Beschimpfungen um sich. Auch bei anderen Anlässen flogen schon mal Getränkeflaschen durch die Box. Die Impulsivität mochte sich die Teamleitung nicht länger bieten lassen.
Als Alonso beim Hallspeed-Team aus Südafrika für die Rallye Dakar anheuerte, machte sich bei der Mannschaft von Glyn Hall schon früh ein unbehagliches Gefühl breit. Man wartete bei allen Testfahrten förmlich darauf, dass Alonso aus der Haut fahren würde. Doch nichts dergleichen geschah. Auch nicht bei einem Überschlag während der Rallye über eine Düne hinweg in der Wüste.
Alonso ist ein unberechenbares Pulverfass. Mal bricht er einen teaminternen Streit vom Zaum, mit Intrigen, die auch J.R. Ewing nicht besser hätte inszenieren können – wie bei McLaren, als er seine Vormachtstellung vom jungenhaften Lewis Hamilton gefährdet sieht. Damals behinderte er nicht nur Hamilton, sondern brachte das ganze Team mit seinen Enthüllungen und Drohungen zum Spionageskandal an den Rand des Abgrunds. Bei Renault war er maßgeblich am Crashgate, dem absichtlich provozierten Unfall von Nelson Piquet, beteiligt. Nach seiner Rückkehr zu McLaren brüskierte er Honda mit Worten und einem demonstrativen Chillen in einem Anglersessel, unübersehbar platziert auf einem hohen Erdwall direkt neben der Strecke.
Und im Wechseleklat rund um Oscar Piastri spielt Alonso auch eine Hauptrolle. Jedes Mal nutzt er die Macht der Bilder: Der Anglersessel von McLaren-Honda ist nur ein Beispiel. Bei Toyota brachte er während des 24-Stundenrennens von Le Mans vor laufenden Kameras der Eurosport-Liveübertragung Kaffee zu den Renningenieuren an den Kommandostand, um zu zeigen: „Ich bin einer von Euch.“ Und als Alpine-Chef Otmar Szafnauer ihn nicht erreichen konnte, weil er angeblich in der Ägäis auf einer Jacht sei – da postete er flugs ein Instagramvideo von sich vor einem Orts- bzw. Namensschild in seiner Heimatstadt Oviedo.
Aber dann gibt es auch den anderen Alonso. Den etwa, der einem kindlichen Fan bei einer Autogrammstunde in Silverstone spontan nicht nur eine Autogrammkarte gibt – sondern sich gleich die eigene Kappe vom Kopf reißt, die auch noch unterschreibt und dem Kind schenkt. Dessen große Augen mit dem ungläubigen Blick bleiben als eines der Bilder der Formel 1-Saison 2022 im Gedächtnis.
Keine Frage, Alonso war auf dem Höhepunkt seiner Karriere mit mehr Talent, Fahrzeugbeherrschung und Gabe zum Schnellfahren gesegnet als viele Andere, womöglich sogar als Michael Schumacher. Und er verfügt immer noch über eine Rennintelligenz, eine Auffassungsgabe während des Fahrens und eine Fähigkeit, das Rennen von sich und seinen Konkurrenten zu lesen wie kein anderer Fahrer im aktuellen Feld. Dieses Sich-Erkundigen und Analysieren von Rennsituationen und –verläufen war schon immer das, was Formel 1-Ingenieure an Alonso noch beeindruckender fanden als seine reine Grundschnelligkeit.
Seine Experimente beim Indy 500 und bei der Rallye Dakar und Tateinheit mit einer Formel 1-Zwangspause haben ihm nicht gutgetan. Der fahrerische Hochglanzlack ist ab. Alonso ist immer noch gut, phasenweise sehr gut. Aber aus der einstigen Note „Eins Plus“ ist inzwischen bestenfalls eine „Eins Minus“ geworden, meistens pendelt er sich sogar im Bereich der „Zwei“ ein. Das ist zu wenig, um Aston Martin im kommenden Jahr nach vorn zu bringen. Und es ist auch zu wenig, um den ganzen Bohei um seine Person zu rechtfertigen, der in den letzten Wochen hochgesimmert ist.
Viel zu oft hat Alonso sich mit seiner Impulsivität und der Tatsache, zur falschen Zeit beim richtigen Team angedockt zu haben, um bessere Ergebnisse gebracht. Er hätte ebenso viele WM-Titel haben können wie Schumi und Sir Lewis, doch dafür hat er sich zu oft selbst im Weg gestanden.
Meistens war die Zeit mit Alonso für das betroffene Team vor allem ein großes Missverständnis.
Auch bei Toyota. Da hätte Alonso selbst dafür sorgen können, dass die erfolgreiche Kooperation – mit Le Mans-Siegen – weitergeht. Er hätte sich nur beim Technischen Direktor Pascal Vasselon zu entschuldigen brauchen. Teamchef Rob Leupen hatte ihm goldene Brücken gebaut. Doch Alonso war sich dafür zu stolz. Er hat lieber wieder eine Brücke hinter sich abgebrochen und verbrannte Erde hinterlassen, wie schon so oft.
So gesehen, ist das Palaver von Zandvoort sogar ein Fortschritt. Alonso scheint etwas gelernt zu haben aus den Fehlern der Vergangenheit. Immerhin hat er sich ja bei Hamilton entschuldigt.