+++ 2023-06-09 13:55 : Podcast – Analyse Hyperpole Le Mans mit Kamui Kobayashi & Alex Wurz, Vorschau Speedway-GP Teterow mit Kai Huckenbeck +++ 2023-06-08 07:19 : Podcast – Qualifikation für die Hyperpole vor den 24 Stunden von Le Mans. +++ 2023-06-07 15:19 : Podcast – die ultimative Vorschau auf das 100-jährige Rennen in Le Mans +++
BACK

28.07.2022

Der Grüne verlässt den Grünen


Das Unausweichliche zog sich ziemlich in die Länge. Aber es geschah doch: Sebastian Vettel hört auf. Auf eine gewisse Art und Weise unfreiwillig: Hätte er eine Perspektive gesehen, wieder um Siege zu fahren, dann hätte er mit Sicherheit noch ein Weilchen drangehängt. Aber einer wie Vettel ist nicht im Sport, um hinterher zu fahren. Das entspricht nicht dem Anspruch, den er mit seinem unbändigen Ehrgeiz an sich selbst stellt.

In gewisser Weise ist er das Opfer vom ganz besonderen Mikrokosmos Formel 1 geworden. Denn die Szene ist bekannt dafür, sich selbst in die Tasche zu lügen. So haben sie Vettel bei Aston Martin glaubwürdig verkauft, dass das einstige Jordan-Team dank der Millioneninvestitionen auf den aufsteigenden Ast komme und den Anschluss an die Spitze schaffen würde. Vettel war wirklich davon überzeugt, dass er seinen Teil dazu beitragen und mit den Grünen wieder gewinnen könne.

Doch diverse Fehlentscheidungen des neuen Besitzers Lawrence Stroll haben dazu geführt, dass dessen ehrgeizige Pläne nie in die Tat umgesetzt werden konnten. Allen voran die Verpflichtung des ehemaligen McLaren-Geschäftsführers Martin Whitmarsh als übergeordneten Markenchef. Der Engländer ist zwar ein exzellenter Verkäufer seiner selbst. Doch seine Vorstellungen davon, dass man ein Rennteam wie einen Großkonzern führen müsse, haben schon dafür gesagt, dass bei McLaren eine Abwärtsspirale in Gang kam. Bei Aston erstickten sie jeden Fortschritt im Keim. Denn ein Rennstall lebt maßgeblich von kurzen Entscheidungswegen und klaren Strukturen. Jede Konferenz und jede Matrixebene in der Hierarchie sind in der schnelllebigen Motorsportwelt ein unnützer Hemmschuh.

Aston hat zwei verschiedene technische Wege beschritten, beide erwiesen sich als Rohrkrepierer. Das ist Vettel inzwischen auch aufgegangen. Und er hat die Ausweglosigkeit des Unterfangens erkannt. Zudem haben sich in seinem Leben die Prioritäten verschoben – wie es so oft passiert, wenn ein Mensch älter und obendrein noch Elternteil wird. Der ganz normale Reifeprozess hat dazu geführt, dass Vettel sich mehr für Umwelt- und soziale Themen interessiert als früher. Als Jüngling ging es in seinem Leben immer nur um Rennsport – oder genauer gesagt: ums Gewinnen. „Das Weltmeister-Gen“ – so sagt man im Formel 1-Fahrerlager. Die Teamchefs und Verantwortungsträger verorten bei jungen Fahrern schon in den Nachwuchsformeln, wer den unbändigen Ehrgeiz und kompromisslosen Siegeswillen in sich trägt – und wer nicht. Nur wer mit dem „Weltmeister-Gen“ auffällt, kriegt überhaupt eine Chance – und nur wer diese Erbanlagen dann wirklich konsequent auslebt und durchzieht, gewinnt Grands Prix und Titel.

Bei Vettel gab es nie einen Zweifel, dass er die dazu nötige Kompromisslosigkeit besitzt. Seit Kind schon hat er alles dem Motorsport untergeordnet; Schwäche zeigen war verpönt, Kritik mündete auch schon Mal in Tränen.

Gleichzeitig hatte er allerdings schon als Formel 1-Novize die geistige Kapazität, sich mit anderen Themen zu befassen. Das fiel auf, als wir zwischen den Rennen von Schanghai und Fuji mal ein paar Tage in Tokio zusammen verbrachten: Da wollte er auf den berühmten Fischmarkt und saugte im Elektronikviertel Akihabara meine Kenntnis über Sonderpressungen von Musikalben für den japanischen Markt auf. Als Abba-Fan stöberte er in den Regalen nach solchen Raritäten aus alten Zeiten, in denen man Musik noch auf Plattenteller legte.

Da war schon absehbar, dass Vettel nicht so eindimensional gepolt ist wie etwa ein Max Verstappen – dass er seine geistige Kapazität aber so genau kanalisieren kann, dass sie immer dann zu 100 Prozent für die Formel 1 genutzt wurde, wenn das nötig war. Dass daraus jetzt ein Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewusstsein geworden ist, überrascht vor diesem Hintergrund nicht. Und im selben Maße, wie die sportliche Lage sich immer weiter verdüsterte, verschob Vettel die Prioritäten hin zu Familie und Umwelt. Auf Dauer konnte das nicht gutgehen: Ein Grüner im Grünen.

Manch’ einer hätte aus dem Aston Martin womöglich sogar mehr rausgeholt als Vettel. Doch der Hesse ist ein Fahrer, der immer erst dann schnell wird, wenn er genau durchblickt hat, wie ein Wagen flott bewegt werden will. Solange ihm das nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist, kann er sein fahrerisches Talent und seine Wagenbeherrschung nicht voll ausschöpfen. Bei dem heiklen Aston Martin hat sich dieser Heureka-Moment, in dem der Knoten platzt, nie eingestellt. Vettel blieb stets hinter den eigenen Möglichkeiten zurück – und nicht nur hinter den eigenen Erwartungen.

Der Rücktritt ist folgerichtig. Aber er kommt zu spät, um noch ein würdevoller Ausstieg zu sein. Vettel geht es wie so vielen vor ihm, auch seinem großen Idol Michael Schumacher: Er hat vor lauter Begeisterung für die Formel 1 und den unerschütterlichen Glauben an weitere Siege den optimalen Zeitpunkt für den Absprung verpasst.


Teile diesen Beitrag

Das könnte auch interessant sein:

  • 05.06.2023

    Die Wahrheit über Teterow

    Das Bangen hat ein Ende. Der Große Preis von Deutschland am Sonnabend in Teterow wird plangemäß stattfinden – allen Unkenrufen zum Trotz. Denn der Speedwayklassiker in Meckenburg s…
  • 02.06.2023

    Vettel geht aufs Wasser

    Mitten im normalen Journalistenalltag trudelt Überraschendes im Emailpostfach ein. Sebastian Vettel engagiert sich als Teilhaber bei einem neuen deutschen Team für die „SailGP“ – e…
  • 31.05.2023

    Genie-Gene

    Auch wenn man den Job schon Jahrzehnte ausübt – es gibt immer noch Gespräche und Termine, die sind etwas ganz Besonderes. So etwa bei der Recherche für die aktuelle Ausgabe der Zei…
  • 25.05.2023

    Eine Bayerin in Ostfriesland

    Hoch im Norden wartet zu Pfingsten ein ganz besonderer motorsportlicher Leckerbissen: Beim Störtebeker-Pokal der Speedwayfahrer im ostfriesischen Motodrom Halbemond tritt auch eine…
  • 25.05.2023

    Deutsche Angst

    Es ist Sonntagmittag. Draußen tobt noch das 24-Stundenrennen auf dem Nürburgring. Ich sitze mit Vertretern der Automobilzuliefererindustrie in einem Auflieger im Fahrerlager. In so…
  • 18.05.2023

    Narben in der Eifel

    Wie sangen die Toten Hosen vor langer Zeit so schön? „Machen wir ‘ne Herrentour // an die schöne Ahr“. Genau da führte am Vatertag – den manche Gleichstellungsbeauftragte inzwische…
  • 17.05.2023

    Volksfeiertag

    Es ist das Wacken des deutschen Motorsports, und die Fanmassen haben die Grüne Hölle längst in Beschlag genommen. Ab dem Himmelfahrts- oder besser Vatertag tobt in der Eifel wieder…
  • 13.05.2023

    SGP statt ESC!

    Na, auch keine Lust auf diesen European Song Contest, oder wie der einstige Schlager-Grand Prix heutzutage heißt? PITWALK kennt das ideale Alternativprogramm – und den passenden Ha…
  • 04.05.2023

    Miami Preis

    Es ist Mittwochnachmittag vorm Grand Prix in Miami, und Lewis Hamilton gibt sich die Ehre. Auf einem öffentlichen Basketballplatz unter einer Brücke über jenes Haff, das die Innens…
  • 29.04.2023

    Maifeier-Race

    Wem's am 1. Mai zuhause zu fad' wird – dem kann geholfen werden. Mit einer ganz besonderen Veranstaltungsempfehlung von PITWALK. Denn am 1. Mai findet in Brokstedt in Schleswig-Hol…
  • 28.04.2023

    Drift in den Mai

    Das Wochenende vorm 1. Mai steht ganz im Zeichen einer außergewöhnlichen Motorsportsparte: Auf dem Estering in der Nähe von Buxtehude findet der Auftakt der Deutschen Rallycross-Me…
  • 27.04.2023

    Dr. Marko und das Geschenk

    Sein schönstes Geburtstagsgeschenkt machte ihm die Firmenzentrale: Zum 80. Geburtstag von Dr. Helmut Marko, dem Talentspäher und Motorsportchef von Red Bull, entschied die Limonade…
2023 – BILD-PUNKTE LAREUS.MEDIA