06.07.2022
Canossa liegt neuerdings in Monte Carlo. Jedenfalls musste Mattia Binotto, der Ferrari-Formel 1-Teamchef, am Dienstag nach dem Debakel von Silverstone einen Canossagang in Fürstentum antreten. Denn dort hatte sich Charles Leclerc schmollend verkrochen, und Binotto musste an die Côte d’Azur reisen, um sich vor Leclerc zu erklären.
Oder besser gesagt: in den Staub zu werfen.
Denn Ferraris verschluderte Stallregie hat Leclerc mal eben 13 WM-Punkte gekostet. Weil Ferrari im Großbritannien-Grand Prix nicht voll auf den in der WM-Tabelle besser klassierten Leclerc gesetzt hat – sondern dessen Teamkollegen Carlos Sainz gewinnen ließ.
Die dahergeschenkten Punkte sind nur auf den besten Blick das Ergebnis einer nicht angewandten Stallregie – sondern vielmehr das Resultat eines veritablen Rechenfehlers: Die Strategen und Ingenieure schätzten den Vorteil der neuen Reifen, den Leclercs Hintermänner nach einer Safetycarphase 14 Runden vor Schluss drauf hatten, auf nur halb so groß ein, wie er tatsächlich war.
Man fragt sich, warum die Ferrari-Ingenieure dauernd Rechenfehler machen. Und man fragt sich, wie solch ein Team überhaupt ein Rennauto mit vier Rädern dran konstruieren konnte.
Leclerc jedenfalls war dermaßen sauer, dass er am Sonntagabend von Silverstone nicht wie geplant mit dem Team heimreiste, um sofort im Simulator im Hinblick auf Spielberg zu fahren – sondern spontan eine Nacht in London dranhängte, dann einen Termin beim Uhrensponsor schwänzte und sich dann in seiner monegassischen Heimat verschanzte, um auf den Kniefall seines Chefs zu warten.
Man kann es nicht anders sagen: Ferrari ist ein Saftladen. Nicht nur beim Umsetzen von Rennstrategien. Die Italiener haben gerade ein neues Hypercar – also einen Sportprototypen für die Erste Liga der Sportwagen-WM, der 24 Stunden von Le Mans und der nordamerikanischen IMSA-Serie – entwickelt. Sie wollen damit gegen Seriensieger Toyota, Platzhirsch Porsche, Cadillac, BMW, Honda-Acura, Lamborghini und Peugeot antreten – sind aber später dran mit der Entwicklung als alle Anderen.
Weil nach einer Ankündigung, dass man ein Hypercar bauen werde, das große Schweigen ausbrach, drängten die Le Mans- und WM-Veranstalter Ferrari dazu, rund um die 24 Stunden von Le Mans Mitte Juni mal wieder was zu kommunizieren, um ein positives Zeichen für die Zukunft der jungen Fahrzeuggattung auszusenden. Also verschickten die Italiener ein Foto respektive eine Grafik, auf der nichts zu sehen war: Pickschwarz, mit je einem weißen Scheinwerfer an jeder Seite, einer roten Leuchtleiste dazwischen und einem winzigen gelben Ferrarilogo darüber.
Wir haben uns bei PITWALK bewusst dagegen entschieden, dieses Bild zu veröffentlichen. Denn wer das zeigt, der verkauft seine Leser und Internetuser für dumm – und das kommt für uns nicht infrage.
Für Ferrari offenbar schon. Denn diese Woche kam das nächste Foto vom Hypercar. Man erahnt Konturen der psychedelischen Tarnfolierung der Karosserie unter einer Art überdimensionalem Lampenschirm, der in den italienischen und Ferrari-Farben mitten im Bild prangt.
Natürlich werden wir auch dieses Bild nicht zeigen. Zumal die Zukunft des Hypercar-Le Mans-Projekts von Ferrari ohnehin unklar ist: Das Geschäftsmodell der Italiener sieht vor, dass sie mindestens einen Wagen an ein Kundenteam verkauft haben müssen, um eine Refinanzierung der Werksausgaben wieder reinzuholen. Nur dann wird das reine Werksrennauto auch zum Einsatz freigegeben. Momentan gibt es aber keinen echten Kaufinteressenten, weil Ferrari Mondpreise für Auto, Ersatzteilpakete und Ingenieurbetreuung aufruft. Nicht wenige gut Informierte in der Szene gehen davon aus: Das Ferrari-Hypercar kommt nicht über das Testfahrtenstadium hinaus.
Statt des Ferrari-Knödelcars zeigen wir Euch im Headerbild zu diesem Blog lieber den neuen Porsche 963, der ab den 24 Stunden von Daytona 2023 sicher zum Einsatz kommen wird. Das Projekt ist seriös, es wird gescheit umgesetzt und kommuniziert. Deswegen nehmen wir es bei PITWALK auch ernst. Nicht zuletzt in der großen Titelgeschichte des neuen Heftes https://shop.pitwalk.de/magazin/106/ausgabe-67?c=6, in der wir auf 18 Seiten alle technischen, fahrerischen, strukturellen, wirtschaftlichen und sonstigen Zusammenhänge des neuen Flaggschiffs von Porsche enthüllen.
Vom Ferrari-Hypercar ist in dieser einzigartigen Geschichte keine Rede.
Damit nicht genug vom Komödienstadel aus Norditalien: Wir wollten für unsere Zeitschrift PITWALK eine Geschichte darüber machen, wie Leclerc das alte Auto des 1982 tödlich verunglückten Gilles Villeneuve fuhr. Ferrari hatte eigens dafür eine Fotoproduktion angeleiert.
Die ersten Anfragen blieben – trotz immer neuer Versuche – drei Monate lang unbeantwortet. Dann kamen mal drei Fotos, viel zu wenig für ein Heft wie unseres. Auf neuerliche Nachfrage lieferte die Presseabteilung nach: noch mal ein Bild.
Donnerschlag!
Bei solchen Kabinettstückchen kreuz und quer durchs Unternehmen braucht sich Charles Leclerc nicht zu wundern, wenn er nicht Formel 1-Weltmeister wird.