05.10.2023
Es ist schon ein Weilchen her. Im Pressezentrum von Daytona, beim 24-Stundenrennen im Januar, fand die letzte persönliche Begegnung mit Michael Andretti statt – jenem Mann, der gerade hinter den Kulissen die Formel 1 aufmischt. Denn Michael Andretti, Sohn des großen Italo-Amerikaners und Exweltmeisters Mario Andretti, bewirbt sich seit langer Zeit um einen Platz in der Königsklasse – als Teamchef, nachdem er als Fahrer schon vor Jahrzehnten gescheitert ist.
Andretti legt den Finger in die offene Wunde der Formel 1-Szene. Denn sein Ansinnen wird von den anderen Teamchefs rundweg abgelehnt. Sie fürchten, dass ein neues, ein weiteres Team ihnen zu viel vom Preis- und Startgeldkuchen abknapsen könnte und dass dann ihre eigene Finanzplanung aus den Fugen geraten dürfte.
Die erste Hürde hat Michael Andretti inzwischen genommen: Der Automobilweltverband FIA hat seinem Antrag, ab 2026 als neues, dann 11. Team zu starten, stattgegeben. Denn für die Funktionäre ist es wichtig, ein Zeichen zu setzen: Nach Jahren der Stagnation mit immer den gleichen Teams gibt es doch noch Interesse von Neulingen, sich in der Königsklasse zu engagieren.
Dabei hat Andretti einen Riesentrumpf in der Hand: eine Allianz mit General Motors. Die Marke vom Detroit River, von deren Hauptquartier man auf den Grenzfluss und rüber nach Kanada schauen kann, möchte Cadillac als werksseitigen Motorlieferanten und -partner zu Andretti schicken. Grad so, wie es Ford ab 2026 für Dauerweltmeister Red Bull sein wird.
Und neue Hersteller sind für die FIA so wichtig wie Knochen für einen Hund. Denn nur wenn neue Werke sich für die Formel 1 interessieren, ist das ein äußeres Zeichen für den Gesundheitszustand der Serie. Neue Hersteller ziehen weitere Novizen oder Rückkehrer an, das war im Motorsport schon immer so. Doch an der Formel 1 ist dieser Boom zuletzt vorbei gegangen: Die aktuellen Ökoturboregeln haben sich wegen des Turbo-Energierückgewinnungssystems als nicht relevant für einen Techniktransfer von der Strecke in die Serienfahrzeuge erwiesen. Der Run auf die hybridisierte Formel 1 ist ausgeblieben. Erst eine große Regelnovelle für 2026 hat Ford und Cadillac angelockt.
Dann werden die Motoren auf eine andere, aber noch weiterführende Art und Weise hybridisiert. Der Antrieb wird dann zu 50 Prozent aus den Akkus des Hybridantrieb gefüttert.
Auch Audi möchte dann einsteigen, mit einem Werksteam auf der Basis des heutigen Sauber-Rennstalls – also der größten Enttäuschung der aktuellen Saison. Und bei Audi herrscht ein dermaßen verwirrendes Hin und Her im Gesamtkonzern, dass man die Pläne für einen Einstieg infrage stellen muss. Zudem die Ingolstädter dem eigenen internen Zeitplan schon um fünf Monate hinterher hinken. Die Erfolgsaussichten für ein Audi-Formel 1-Projekt, so es denn überhaupt stattfindet, sind schütter.
Bei Ford sieht es dank der Partnerschaft mit Red Bull anders aus. Und Cadillac hat aufgrund der Kooperation mit Andretti auch bessere Aussichten als die Bayern. Denn Andretti ist nicht einfach nur ein Rennfahrersohn, der 1993 als Fahrer selbst in der Formel 1 gescheitert ist. Damals meinte er noch, die Formel 1-Rennen von seinem Wohnsitz in den USA aus bereisen zu können – und so bei McLaren seinen Teamkollegen Ayrton Senna schlagen zu können, obwohl der sein ganzes Leben dem Motorsport untergeordnet hatte.
Andretti hat seine Lektion gelernt, nicht zuletzt als Gegner vom eigenen Vater in der IndyCar-Serie – und nun als Teamchef. Er hat nicht einfach nur einen Rennstall, der in den Staaten die dort höchste, aber mit der Formel 1 nicht zu vergleichende Monopostoserie beschickt – sondern über die Jahre jede Menge mehrere Millionen schwere Investoren hinter sich geschart, die ihm den Aufbau eines ganz neuen Technologiezentrums ermöglichen.
Die neue Fabrik, die in den USA bei Andretti gerade entsteht, hat absolut Formel 1-Niveau. Das haben selbst seine Kritiker aus der Königsklasse noch nicht überrissen. Die meisten sehen in Andretti nur einen Neuling, der ihnen Teile vom Geldkuchen Wegfuttern möchte – aber nicht den ernsthaften Gegner, der der mit seinem Rennstall in kurzer Zeit werden kann.
Andretti baut sich in den USA gerade die modernste Formel 1-Fabrik seit Red Bull in Milton Keynes auf. Und keiner kriegt es mit.
Auch Cadillac macht ernst. Die Amis sind gerade dieses Jahr erst mit zwei Wagen in die Sportwagen-Langstrecken-WM eingestiegen. Schon ab 2025 wird dieses Engagement wieder auf ein Auto zurückgefahren, um firmenintern Budget für den weiteren Ausbau der Formel 1-Motorenabteilung und für die Entwicklung des neuen Hybridmotors für 2026 umschichten zu können.
Was die Nobelmarke des GM-Konzerns genau umtreibt, bleibt rätselhaft: In Europa kann man derzeit gar keine Cadillac kaufen, und eigentlich sollte die Marke als reine Elektroautomanufaktur neu positioniert werden. Da passt ein weltweit sichtbares Engagement in einer Hybridserie nicht sonderlich ins Konzept. Aber hinter den Kulissen werden schon weitere Weichen gestellt, um Cadillac rund um den Globus zu positionieren. Dann ergibt die Formel 1 Sinn.
Doch trotz der guten Nachrichten von der FIA: In der Formel 1 ist es wie mit Bundestag und Bundesrat – nicht nur die eine Seite, also der Verband, muss zustimmen, sondern auch die andere, in diesem Bild die Vermarkter der Formel 1. Und da können die anderen Teamchefs mitreden. Sie haben schon ihr Veto angekündigt, um Andretti vor der Tür ihres exklusiven Klubs zu halten.
Die Debatten haben gerade erst begonnen. Und sie laufen auf ein Kräftemessen zwischen dem Weltverband und den Vermarktern hinaus. Also zwischen Politik und freier Wirtschaft. Bislang hat sich in solchen Fällen im Motorsports stets die Politik durchgesetzt, alle Revolten niedergeschlagen und ihre eigene Machtposition ausgebaut. Man darf sich also schon auf Andretti-Caddilac freuen.
Und aufs nächste Gespräch mit Michael Andretti – beim Petit Le Mans in Atlanta am kommenden Wochenende. Dort ist Andretti als Teilhaber des Cadillac-Sportwagenteams von Wayne Taylor mit dabei.