17.11.2023
Zwar ist Las Vegas in aller Munde. Doch zumindest für deutsche Formel 1-Fans mit einem Faible für die Geschichte der Königsklasse steht momentan ein anderes Thema ganz obenan: Erich Zakowski ist tot. Einen knappen Monat vor seinem 90. Geburtstag ist der Gründer von Zakspeed gestorben. Ein Mann, der es Ende der Achtziger mit einem eigenen Team aus Niederzissen in der Eifel bis in die Formel 1 geschafft hat.
Natürlich waren die Zeiten damals anders. Und natürlich verklärt man je nach dem eigenen Alter verschiedene Epochen und deren Hauptdarsteller: die heutige Jugend womöglich Mats Hummels, ältere Rennsportfans sicher Rolf Stommelen. Doch Zakowski steht als strahlende Figur über allen.
Sein Formel 1-Abenteuer mutet aus heutiger Sicht eine Spur wahnsinnig an. Nicht nur wegen des Standorts seines Teams – im Schatten einer gigantischen Autobahnbrücke, welche die A61 über das verschlafene Brohltal spannt. Sondern erst recht, weil Zakspeed damals, ab 1984, nicht nur die Autos selbst gebaut hat – sondern die Turbomotoren gleich mit.
Aber Zakowski war kein realitätsferner Exzentriker, sondern ein echter Racer durch und durch. Seine Geschichte – und die von Zakspeed natürlich – beschränkt sich längst nicht nur auf die Formel 1-Jahre bis 1989. Der Rennstall hat schon vorher und auch danach Maßstäbe gesetzt und verschoben. Für die Deutsche Rennsportmeisterschaft, eine Vorgängerserie des heutigen DTM, hat Zakspeed Ford Capri mit wuchtiger Optik entwickelt – und dabei unbeabsichtigt jenen Ground Effect für Tourenwagen erschlossen, der heute noch die aerodynamische Wirkweise aller Autos quer durch sämtliche Sparten maßgeblich bestimmt. Als die Gruppe C für Langstreckensportwagen aus der Taufe gehoben waren, wagte er im Schulterschluss mit Ford in Köln die Entwicklung des C100 – ein Eigenbau mit einem spannenden technischen Konzept, mit dem die Übermacht von Porsche herausgefordert werden sollte. Und als der Rennsport in Deutschland in eine der vielen Dürrephasen versackte, ging er mit seinem Team in die USA, in die dortige IMSA-Langstreckenserie, entwickelte dafür eigens Erstligaprototypen auf Basis der Ford-Modelle Mustang und Probe.
All’ das passierte schon vor dem Formel 1-Abenteuer. Und auch während der Grand Prix-Zugehörigkeit verblüffte Zakspeed immer wieder. Nicht nur mit dem eigenen Motor im eigenen Wagen, was bis dahin neben Zakspeed nur Ferrari und – kurz mal – Renault gewagt hatten. Sondern auch mit der Einbindung seines Hauptsponsors, einer Zigarettenmarke aus Hamburg, die nach einer Himmelsrichtung benannt ist. Weil in manchen Ländern Tabakwerbung schon damals verboten war, wich der Markenname im ansonsten gleichbleibenden Dekor der genau entgegengesetzten Himmelsrichtig: „East“.
Heute würde man so etwas als einen cleveren Marketingschachzug feiern. Damals gab es solche Vokabeln noch gar nicht. Und hinter dem East steckte mehr als nur ein Wortspiel: Zakowski stamm gebürtig aus Ostpreußen, hat als Kind am Ende des Zweiten Weltkriegs mit seiner Familie eine lebensbedrohliche Flucht über die Ostsee mitgemacht. Dass er in der Formel 1 auf den Osten verwies, war also mehr als nur ein wirtschaftlich getriebenes oberflächliches Geplänkel. Zumal zu der Zeit der Kalte Krieg noch tobte und die Wiedervereinigung sich erst zum Ende seiner Grand Prix-Ära anbahnte.
Zakspeed gründete schon einen Fanklub mit Extraleistungen für zahlende Mitglieder, als in der Grand Prix-Szene noch keiner soweit dachte. Er machte sich um die Förderung deutscher Nachwuchsfahrer verdient, zeigte sich seinen Mitarbeitern und Schützlingen stets loyal gegenüber. Und vor allem wollte er seinem Sohn Peter Zakowski den Weg in die Formel 1 ebnen, denn der hatte ihn in der Formel 3 von seinem Talent und seinem Siegeswillen überzeugt.
Peter Żakowski trat denn auch Vater Erichs Nachfolge als Teamchef bei Zakspeed an. Nicht immer unumstritten, nicht immer erfolgreich, aber mit denselben Attributen wie sein Vater: stolz, unbeugsam, manchmal auch starrsinnig, aber immer ehrgeizig und fachkundig. Auch für ihn war Motorsportdeutschland oft zu klein, er wollte der hiesigen Piefigkeit mit einem Engagement in der IndyCar-Serie entweichen – wie es sein Vater mit der IMSA gemacht hatte. In den letzten Jahren meldete sich Bruder Philipp im Motorsport zu Wort, überwarf sich mit Peter. Der Streit der beiden hat Vater Erich bis in seine letzten Monate hinein beschäftigt. Er war über jeden Austausch der beiden Söhne genau im Bilde, hatte seine klare Meinung – und es fiel ihm sichtlich schwer, dass er keinen Frieden zwischen den beiden stiften konnte.
Diesen Eindruck hinterließ er bei seinem letzten Gespräch mit mir, als ich ihn zuhause in der Eifel besuchte – und als er mir en Detail in ausgedruckter Form vorlegte, welcher Bruder welche Meinung vertrat.
Die Unterhaltung mit Erich Zakowski erinnerte mich dabei stark an die unzähligen Gespräche, die ich mit Franz Arens geführt habe – dem langjährigen Vorsitzenden des MC Norden, der den Speedwayverein mit dem Bau des Motodrom Halbemond auf die Weltbühne geführt hat, aber dann den Niedergang doch nicht hat verhindern können. Beide, Arens und Zakowski, waren graue Eminenzen ihres Sports und ihrer jeweiligen Epochen, getrieben von ihren großen Herzen und ihrer unstillbaren Leidenschaft für den Sport. Beide haben deswegen so manches Mal übers Ziel des Vernünftigen hinausgeschossen, weil sie fürs Racing gebrannt haben. Und beide konnten stundenlang in immer neuen Facetten und aus für Außenstehende schier unglaublichem Wissen mitreißend erzählen und ihre Standpunkte klar machen.
Man muss als Journalist, aber auch als reiner Fan dankbar sein, diesen Erzählungen zugehört haben zu dürfen – mit großen Augen, offenem Mund und rotierenden Hirnwindungen, welche die ganzen Informationen und Zusammenhänge gar nicht so schnell verarbeiten können, wie sie aus den Mündern von Arens oder Zakowski gekommen sind.
Aber nicht nur sehr deswegen war mein Besuch bei Erich Zakowski ein ganz besonderes Erlebnis – sondern vor allem, weil er viele bisher nicht preisgegebene Einblicke in sein Leben und auch in seine Formel 1-Zeit gewährte. Die fanden allesamt Eingang in eine Geschichte in der noch aktuellen Ausgabe unserer Zeitschrift PITWALK https://www.pitwalk.de/pitwalk/ausgabe-74 – und machten daraus das meistverkaufte Heft unserer Firmengeschichte.
Das allein zeigt, wie sehr die historische Figur Erich Zakowski auch in den aktuellen Motorsport hineinstrahlt.