06.05.2022
Die Formel 1 ist in heller Aufregung. Seit dieser Woche ist klar: Porsche und Audi steigen ein, ab 2016. Damit erfährt die Rennserie eine enorme Aufwertung, sind doch in den vergangenen Jahren nur Hersteller ab-, aber keine neuen zugewandert. Jetzt vollzieht sich eine Trendwende – und das mitten in einer Rezession und vor allem mitten in der Transformation der Automobilbranche.
In der Szene pfiffen die Spatzen schon lange von den Dächern, was nun vom VAG-Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess auch offiziell bestätigt wurde: Die beiden Premiummarken des Konzerns kommen als Motorlieferanten. Porsche wird zu Red Bull gehen, für Audi sucht man noch einen Partner. Je mehr man sich hinter den Kulissen umhört, desto wahrscheinlicher wird das Unwahrscheinliche: dass die Ingolstädter bei Williams andocken.
Klingt widersinnig, denn das einstige Topteam fristet seit Jahrzehnten nurmehr ein Hinterbänklerdasein. Doch in Jost Capito führt seit einem Jahr ein gebürtiger Siegerländer als Teamchef das Regiment, der nicht nur als ausgewiesener Fachmann gilt – sondern früher auch Kundensportchef bei Porsche, Rennleiter und später Boss der Untermarke R GmbH bei Volkswagen war. Alles, was Capito anpackt, wird was. Auch bei Williams hat er schon eine Trendwende eingeleitet. Doch das Team war aufgrund von Budgetknappheit und Fehlentscheidungen in den vergangenen Jahren derart runtergerockt, dass es dauert, bis die Maßnahmen sich auch in Resultaten niederschlagen.
Die Ursache für den Niedergang ist klar: BMW hat die Abwrackbirne geschwungen. Als die Münchener ihre Werkspartnerschaft mit Williams aufkündigten, um das eidgenössische Sauber-Team zu kaufen, begann der Niedergang von Williams. Die Engländer aus der Nähe von Oxford haben sich davon bis heute nicht erholt: Der Sparkurs, zu dem sie plötzlich gezwungen waren, hat sie eine strudelartige Abwärtsspirale gerissen.
Erst mit Capito und nun mit der Aussicht auf den Audi-Deal kann ein Stöpsel reingedrückt werden, der den Sog beendet. Und obwohl die Statistik gegen Williams spricht, wäre ein Abkommen mit den Briten für Audi eine clevere Wahl: Die Infrastruktur bei Williams – Hochleistungsrechner, Prüfstände und Windkanal – werden dank neuer Investoren gerade so aufgerüstet, dass sie bald zum Feinsten der Formel 1 zählen. Und der Personalstamm besteht aus einer Belegschaft voller Leute, die exemplarisch für das stehen, was der Engländer so schön „Real Racers“ nennt: Enthusiasten, die für den Sport brennen, die arbeiten, was das Zeug hält – und die von enormem Fachwissen geprägt sind.
Auch dafür gibt’s im Englischen einen schönen Schnack: „Wenn man ihnen eine Schnittwunde zufügt, dann bluten sie Öl statt Blut.“ Genau aus diesem Holz ist jeder geschnitzt, der bei Williams arbeitet. Kurze Entscheidungswege, schnelle Reaktionszeiten, treffsicheres Agieren, dabei keine Scheu vor Überstunden und einen Spirit, der seinesgleichen sucht – genau so etwas braucht ein Konzern wie Audi, um in der Formel 1 schnell zum Erfolg zu kommen. Denn: Anders als Porsche, ist Audi ein Unternehmen, das sich aufgrund der internen Strukturen nur sehr schwerfällig bewegt. Entscheidungen werden in endlosen Konferenzen und neuerdings Videocalls durchgekaut und von Meeting zu Meeting weiter verwässert. Firmen dieser Größenordnung sind der sprichwörtliche Supertanker, den zu manövrieren enorm viel Vorlauf benötigt.
Wenn solch’ ein Haus mit der Real Racers-Attitüde eines englischen Motorsportimperiums zusammentrifft, kann daraus eine Traumehe werden – solange beide Seiten sich die nötigen Freiheiten lassen, gemäß ihrer Unternehmens- und Mitarbeiterkultur zu agieren. Sprich: Audi muss Williams die Freiheiten lassen, ihre zuweilen draufgängerische Art auszuleben – und andersrum müssen die Engländer den Bayern die nötige Geduld entgegenbringen, um durch die Konzernstrukturen zu gehen.
An diesem gegenseitigen Verständnis ist die Beziehung zwischen BMW und Williams gescheitert. Denn die Münchener zauderten und konferierten, wo die Oxforder handeln und agieren wollten. Das sähe Zwietracht zwischen den beiden Parteien – und erntete Unverständnis in der ganzen Branche.
Bei Williams haben sie aus diesem Bruch die Konsequenzen gezogen – und in Capito nun einen Mann am Ruder, der sowohl die hemdsärmelige Racer- als auch die mühselige Konzernseite von innen heraus kennt. Wenn es einer schafft, diese beiden Gegenpole kompatibel zu machen, dann ist es der charismatische Siegerländer.
Die Entscheidung über die Partnerschaft von Audi ist noch nicht gefallen. Der Einstieg steht ja auch erst 2026 an. Während Porsche bei der internen Entwicklung des Motors schon so weit ist, dass die Schwaben theoretisch morgen erfolgversprechend loslegen könnten, hinkt Audi noch hinterdrein. Doch 2026 ist deshalb gewählt, weil dann ein neues Motorregelwerk gelten wird. Bis dahin ist noch Zeit, die richtigen Entscheidungen in der Balz zu treffen.
Aber der Einstieg hat noch eine weiterführende Komponente. Bislang hat Diess für VW die vollständige Elektrifizierung aller Autos propagiert – bis auf den Porsche 911. Da passt eine Formel 1 mit Verbrenner-Hybridmotor nicht in die Strategie. Dass er jetzt, obwohl dem Wesen nach sowieso kein Motorsportfreund, mit zwei Marken in die Königsklasse geht, zeigt, dass sich auch bei der Transformation des Verkehrswesen eine Kehrtwende vollzieht. Langsam sieht man ein, dass der politisch getriebene Weg, alles nur noch mit E-Autos zu beschicken, nicht praktikabel ist. Und es kehrt Realismus ein: Man wird einen Verkehrsmix brauchen, in dem E-Autos ebenso vorkommen wie Hybrid-Verbrenner, die dann mit alternativen Kraftstoffen, etwa synthetischen E-Fuels, betrieben werden, und Wasserstofftechnik. E-Fuels, deren Ökobilanz in Herstellung und Betrieb deutlich besser ausfällt als jene fossiler Brennstoffe, werden über Generationen hinweg eine realitätsbezogene Alternative und Ergänzung darstellen. Porsche und VAG forschen daran sehr intensiv.
So zeigt denn der Formel 1-Einstieg ab 2026 auch: Die überhitzten Debatten über die Verkehrswende kehren langsam auf den Boden des Machbaren zurück. Die Signalwirkung der Entscheidung in Wolfsburg ist deswegen nicht zu unterschätzen. Für den Motorsport, aber auch für Gesellschaft und Wirtschaft insgesamt.