26.05.2022
Das 24-Stundenrennen ist ein Rundumerlebnis – mehr als nur ein normales Autorennen, sondern ein Volksfest, in dem man sich verlieren und verwöhnen lassen kann.
Die Keimzelle des Marathons ist das Fahrerlager. Hier kann man in die offenen Boxen schauen, die Technik der Autos in den Zelten bestaunen und die Fahrer für Selfies und Autogramme treffen. In den Logen oberhalb der Boxen, längs des sogenannten Laubengangs, kann man es sich als VIP-Gast gutgehen lassen. Doch das Epizentrum des Motorsports ist nur ein Teil des Gesamtgenusses.
Kein Trip zum Vierundzwanziger ist komplett, wenn man nicht ein Mal in die Partymeilen an den neuralgischen Zuschauerplätzen rings um die Nordschleife eingetaucht ist. Das Brünnchen und der Pflanzgarten sind da die erste Adressen. An beiden Abschnitten campen die Fans und feiern wilde Partys im Ballermann-Stil – allerdings ohne jene Aggressionen, die einem etwa einen Besuch im Fußballstadion vergällen können. Ausufernde Feten sind die Norm, Hooligans kommen im Motorsport nicht vor, stattdessen begeistern die Fans mit kreativer Gestaltung ihrer jeweiligen Zuschauerbereiche – mit Riesenplanschbecken, Mauern aus leergetrunkenen Bierfässchen, Sofas als Hochsitze auf wackeligen Konstruktionen aus Leitergestellen und sonstigen Kuriositäten.
Auf keinen Fall sollte man diese Zuschauerpunkte samstagsabends mit dem eigenen Auto anfahren. Denn alle Parkplätze sind dann längst belegt. Und mal eben schnell am Straßenrand parken, weil man ja nur eine Stunde oder bleiben wolle, ist nicht ratsam. Denn der Abschleppdienst fährt rund um die Uhr Dauerschichten und nimmt jeden auf den Haken, der im Halteverbot an der Bundesstraße steht. Stattdessen sollte man den kostenlosen Linienbusservice des Deutschen Sportfahrerkreises DSK nutzen. Der pendelt vom Dorint-Hotel bei Start/Ziel ausgehend auf zwei Routen: Route 1 steuert den Schwalbenschwanz, den Pflanzgarten und das Brünnchen an, ist die empfehlenswerteste Variante. Die Busse pendeln von Samstag ab acht Uhr bis Sonntag um 18 Uhr.
Eine Tour mit Aufenthalt bei den trinkfesten Feierbiestern nimmt gern mal zwei bis drei Stunden in Anspruch. Also guckt man sich den Start und die Zeit bis zu den ersten Boxenstopps in aller Ruhe irgendwo an der Grand Prix-Strecke an, im Fahrerlager oder auf einer Tribüne mit Blick auf eine Großbildleinwand – und peilt dann zu Einbruch der Dunkelheit eine ausgedehnte Abenteuerreise an die Nordschleife an. Nachts ab 23 Uhr beruhigt sich dann das Geschehen im Fahrerlager, man kann sich wieder durch die Gassen und auf den Laubengang trauen und bis ein oder zwei Uhr morgens intensiv ins Renngeschehen eintauchen.
Gerade die Nacht und der frühe Morgen, ab fünf Uhr, bringen auch die stimmungsvollsten Momente im Fahrerlager hervor. Wer sich in düsterer Nacht auf die Pirsch hinter die Boxen begibt, taucht ein in ein ganz besonderes Aroma: einen Duft aus kaltem Zigarettenrauch von Mechanikern, die nach einem Stopp mal kurz eine qualmen, aus benutztem Reifengummi und verbranntem Benzin. Die Fragrance streichelt nicht die Nase wie 100 Euro-Parfüm – aber so riecht ein 24-Stundenrennen, wenn es in seiner Hochphase tobt. Wer in die müden Gesichter der Mechaniker blickt, die sich eine kurze Auszeit gönnen; wer die schweißgebadenen Fahrer sieht, die nach einem Törn noch dampfend und mit flackernden Augen aus der Box in die kühle Nachtluft treten – der kapiert auf einen Schlag, was den Mythos und die Qual eines 24-Stundenrennens ausmachen.
Auch im Fahrerlager selbst kann man sich volksfestartig zerstreuen. In der Nähe des Medical Centre steht ein Riesenrad – das keinen Eintritt kostet. Direkt daneben steht Bembel with Care – ein Bullriding-Simulator nach texanischem Vorbild.
Draußen, zwischen den beiden Hotels neben der Start/Ziel-Geraden liegt das Ring-Boulevard – eine überdachte Halle, in der es Shops und Ausstellungsgelände gibt. In diesem Jahr beherbergt der Boulevard unter anderem eine Zeitreise durch die 50-jährige Geschichte des 24-Stundenrennens – mit Originalautos als Exponate, die Motorsporthistorie atmen. Im Boulevard gibt es auch Souvenirshops für Fanartikel.
In die andere Richtung kann man fußläufig das Dörfchen Nürburg erkunden. Dort gibt es die legendäre Pistenklause – das In-Restaurant in Ring-Nähe schlechthin. Die altehrwürdige Nürburg ist zu Fuß zu erreichen, man kann sie sogar bis zu den Zinnen hin erklimmen. Und von dort oben genießt man einen fantastischen Blick aufs Fahrerlager und einige rückwärtige Streckenabschnitte des Grand Prix-Kurses bis zur Einfahrt auf die Nordschleife.
Vorbei an der Nürburg in Richtung des Dorfausgangs steht das kleine Hotel Forsthaus Sankt Hubertus – ein besonders geschichtsträchtiges Haus. Denn hier wurde 1934 der Mythos Silberpfeil geboren. Damals wohnte beim Grand Prix von Deutschland das Mercedes-Werksteam in diesem Hotel. Deren Wagen waren in der seinerzeit für Deutschland typischen Weiß lackiert. Doch sie erwiesen sich als zu schwer. Deswegen ordnete der Rennleiter Alfred Neubauer an, die Farbe über Nacht abzukratzen. Übrig blieb das schimmernde Silber der nackten Karosserie – und fortan rannten die deutschen Nationalwagen als Silberfeile. Das Forsthaus Sankt Hubertus pflegt das Andenken an diese ganz besondere Stunde des Rennsports liebevoll, es gibt sogar noch die alten Werkbänke und Montagegruben von damals. Und das junge Pärchen, welches das Hotel heute bewirtschaftet, ist gern zu Erklärungen und kurzen Führungen bereit.
Nach einer langen Nacht mit den letzten Updates vom Rennen, bei denen man aus erster Hand mitkriegt, wie die Kälte langsam in die Gebeine der Mechaniker kriecht und man sieht, wie die Techniker und Schrauber sich mit teils merkwürdigen Verrenkungen eine schnelle Mütze Schlaf gönnen, quält man sich morgens kurz vor Sonnenaufgang wieder ins Fahrerlager, um das Parfum der 24-Stunden zu gönnen. Danach in Ruhe frühstücken, noch ein kurzer Ausflug in die Renninterna – und dann entwickelt der Vormittag auf der Rennstrecke seine Längen. Da bleibt Zeit für einen Saunagang oder ein Wellnessprogramm in einem der beiden schicken Hotels bei Start/Ziel, so man denn Zugang hat, und ein kleines Erholungsnickerchen – ehe man um die frühe Mittagszeit wieder ins Renngeschehen eintaucht.
Das sollte man in aller Ausführlichkeit tun. Denn ab Mittag laufen die verschiedenen Handlungsstränge, die sich über Nacht und den ganzen Morgen lang herausgebildet haben, wie von Geisterhand plötzlich wieder spitz zusammen. Die GT3-Rennen haben die Eigenheit, dass sie meistens in dramatischen Endspurten münden – mit beinharten Fights um Meter und Sekunden. Man muss sich in dieser Phase zwar schon aktiv mit dem Geschehen auf der Strecke befassen – wird dann aber von der schlagartig aufkeimenden Dramatik mitgerissen. Wer feine Antennen hat, bemerkt dann, wie sich langsam, aber sicher ein Spannungsbogen aufbaut und das Rennen seine finale Dramaturgie entwickelt.
Ein besonders emotionaler Moment ist dann das Herannahen von 16 Uhr – also der Zieldurchfahrt. Die sollte man von der Haupttribüne aus genießen, mit freiem Blick auf die Boxengasse. Denn von dort sieht man nicht nur den unbändigen Jubel des Siegerteams – sondern auch die Freude und Erleichterung der vielen kleinen Privatteams, deren Autos es trotz aller Strapazen ins Ziel geschafft haben.
Um vier Uhr am Sonntagnachmittag sind sie alle Helden. Und dieser Funke der Eifel-Saga springt auf gefühlige Art und Weise über auf die Zuschauer – die für jeden, der die Zielfahne sieht, einen Jubel aufbranden lassen wie für den Sieger. Oder für einen Torschützen im Fußballstadion.
Während all' jener Zeit, in der man sich nicht direkt mit dem Rennen befasst, während all' der Ausflüge und der Erholungsphasen kann man immer wieder ins Geschehen eintauchen. Denn auf der Website https://www.24h-rennen.de/live/ wird das gesamte Rennen live gestreamt, auf der Seite gibt's auch Zugriff zum Livetiming wie es auch auf den Zeitnahmemonitoren in den Boxen oder den Lounges läuft. Und unter https://www.pitwalk.de/pitcast/racing-round-up werden regelmäßig Podcasts mit Zusammenfassungen, Updates und O-Tönen sowie aktuellen Interviews der Fahrer und Teamchefs veröffentlicht. Diese kurzen Online-Radiobeiträge bieten die ideale Möglichkeit, sich aktuell und hintergründig über den Fortgang des Rennens zu informieren – auch wenn man nicht stundenlang vor Monitor oder Smartfon sitzen möchte.