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17.03.2022

Dirty Air Talk


Zwanzig Meter sollen’s nun also richten. Um so viel später spürt der Hinterherfahrende in der neuen Formel 1-Saison jene Wirbelschleppen, die sein Vordermann in die Luft reißt – und die sein eigenes Auto so durchschütteln wie plötzliche Turbulenzen einen Flieger in großer Höhe.

Die Nachlaufströmungen des Vordermanns beginnen nun erst 10 Meter hinter dem Wagen – und nicht mehr schon 30 wie bei den Autos der vorherigen Generation. Damit soll es Verfolgern möglich gemacht werden, sich in den Kurven näher an den Vordermann heranarbeiten zu können. Das war bislang meistens unmöglich, weil der Wagen des Hinterherfahrenden in den Turbulenzen, der sogenannten „Dirty Air“, an der Front quasi hochgehoben wurde – und dann in ein Untersteuern glitt. Sprich: Der Bolide schon auch dann noch über die Vorderräder geradeaus, wenn der Fahrer das Lenkrad längst eingeschlagen hatte.

Dieses Untersteuern machte es unmöglich, so dicht aufzufahren, wie es nötig wäre, um auf der folgenden Geraden dann aus dem Windschatten heraus zu einem Überholmanöver ansetzen zu können.

So sollen die Rennen wieder spannender werden, weil mehr überholt und weniger einfach nur hintereinanderher gefahren werden kann.

Die Zusammenhänge sind schwer zu greifen. Man versteht sie ein bisschen besser, wenn man sich mal in Norddeich an den Fährhafen stellt. Da sieht man Bugwellen vor und das Kielwasser hinter den Schiffen. Die Luft, also der Fahrtwind, verhält sich bei einem Formel 1-Auto im Prinzip nicht anders wie die Nordsee rund um eine Norderney-Fähre: Der Frontflügel piekst rein und teilt sie, dann umschmeichelt sie das Auto wie einen Schiffsrumpf, wird dabei verwirbelt, zu Wellen und Strudeln verarbeitet; direkt hinter dem Schiff – oder dem Heckflügel eines Renners – ist eine Zone völliger Ruhe, dann schwappt das Wasser oder die Luft wieder zusammen.

Und genau an dieser Schnittstelle entsteht die überholfeindliche Dirty Air.

Mit einer neuen Luftführung bei den Autos soll nun dieser Effekt ausgemerzt werden. Früher holten die Formel 1-Wagen ihren Anpressdruck zu je einem Drittel über Frontflügel, Heckspoiler und Unterboden. Jetzt steuert der Unterboden zwei Drittel von jenem „Downforce“ bei, der die Autos in den Kurven auf den Teer drückt respektive saugt und so erst die enormen Kurvengeschwindigkeiten der Königsklasse möglich macht.

Denn: Je schneller man in eine Kurve reinfährt, desto mehr Abtrieb baut sich auf, und desto flotter kann man ums Eck zischen. So lange, bis man die Grenzen der Haftkraft von den Reifen überfährt – oder das Maximum des möglichen Downforce überreizt. Dann kommt die Fuhre ins Torkeln oder dreht sich.

Das Forschen nach immer mehr Abtrieb bei gleichzeitig möglichst niedrigem Luftwiderstand steht deswegen im Mittelpunkt allen Schaffens der Grand Prix-Ingenieure. Und Luft, die unterm Auto langströmt und dort beschleunigt wird, so das Auto auf den Boden saugt – die kommt weniger verwirbelt hinterm Wagen als jener Fahrtwind, der oben über die Karosserie geleitet wird und sich an deren Ecken und Kanten verfängt.

Deswegen gilt Downforce vom Unterboden als „unschädlicher Abtrieb“.

In diesem Jahr erlaubt das Technikregelwerk erstmals durchgängige Kanäle auf beiden Seiten des Unterbodens, unter den Seitenkästen. Bislang durften solche Venturitunnel immer erst in der Stufe im Heck, dem Diffusor, beginnen. Durch die längeren Kanälen saugen sich die Autos stärker auf den Boden und holen mehr Downforce untenrum.

Das macht mehr Überholaction möglich, stellt die Teams aber vor neue Herausforderungen. Die Formen und inneren Strukturen der Schächte unter dem Wagen müssen peinlich genau durchdacht sein, damit sie in allen Lebenslagen funktionieren. Denn auf den Geraden drückt und saugt der Fahrtwind den Wagen nach unten. Auch dann, bei geringer Bodenfreiheit, muss die Luft aber noch sauber durch die Kanäle strömen, um ihre Sogwirkung zu entfalten. Kommt es zu einem Luftstau, einem Strömungsabriss, dann killt das den Effekt, die Sogwirkung ist futsch – und der Wagen schnellt aus der Hocke wieder nach oben wie ein Korken, den man unter Wasser gedrückt hat.

Ist der Wagen oben und erreicht wieder eine Bodenfreiheit, die den Luftstrom ohne „Aero Stall“ ermöglicht, saugt das den Boliden wieder runter – bis der nächste Strömungsabriss entsteht. Dann geht’s wieder aufwärts. Und immer so weiter.
Das ist die Erklärung für ein Phänomen, das bei den Wintertests aufgetreten ist: Die Autos pulsieren. Man könnte auch sagen: Sie hoppeln in einem Dauerstakkato über die Geraden, wenn die Kanäle untenrum nicht funktionieren.

Das raubt den Fahrern die Sicht und den letzten Nerv, weil ihr Hirn durchgerüttelt wird. Und es setzt Fahrzeuginnereien wie Schellen, Steckverbindungen oder das Steuergerät unter Dauervibrationen, die über die 300 Kilometer lange Renndistanz zu Schäden und Haltbarkeitsproblemen der Technik führen können.

Beim Auftakt in Bahrein ist also relevant: Wer hat den Autos seit den ersten Tests das Pulsieren ausgetrieben – und um welchen Preis? Mercedes hat’s mit einer Anhebung der Bodenfreiheit versucht. Aber das geht zu Lasten des Gesamtabtriebs. Deswegen neigt der Silberpfeil zum Übersteuern. Red Bull und Ferrari haben den Unterboden seitlich abgedichtet, um so störende Seitenscherströme auszuschließen. Das ist der bessere Weg.

Deswegen sind Red Bull und Ferrari die großen Favoriten auf einen perfekten Saisonstart in die neue Formel 1-Generation.


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