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03.03.2023

Die geheime Seite der Formel 1


Die Krux folgt später. Dass der Weltmeister mit einem gehörigen Vorsprung in die neue Saison startet, ist nur eine Seite im Buch der neuen Formel 1-Saison. Viel entscheidener wird sein, wie sich das Rennjahr entwickelt. Denn der Entwicklungswettlauf, der alljährlich tobt, erhält 2023 eine neue Facette.

Die Verfolger können aus dem Vollen schöpfen, während Red Bull nur mit gebremstem Schaum entwickeln darf. Denn das Team muss noch eine Strafe absitzen, weil man im Jahr von Max Verstappens erstem WM-Titelgewinn zu viel Geld ausgegeben hat. Den in den Regeln vorgeschriebenen Höchstetat für eine Saison hat Red Bull damals um 1,8 Millionen US-Dollar gerissen. Die Strafe dafür: um 10 Prozent weniger Zeit im Windkanal.

Dabei hätte die Limo-Mannschaft als Weltmeister ohnehin schon lediglich 224 Einsätze im Windkanal fahren dürfen. Denn das Sportliche Regelwerk der Königsklasse schreibt vor, dass der Titelverteidiger im Folgejahr deutlich weniger Zeit in die praktische aerodynamische Entwicklung investieren darf als die Verfolger. Mit dieser kommunistisch angehauchten Regel soll künstlich unterbunden werden, dass sich ein Rennstall lange uneinholbar an der Spitze festbeißen kann – so wie es Ferrari zu Michael-Schumacher-Zeiten und zuletzt auch Mercedes seit Beginn der neuen Turbohybridära gelungen war.

Man kann trefflich darüber streiten, ob einer absoluten Leistungsgesellschaft wie der Formel 1, die sich als Speerspitze und Leuchtturm allen Motorsports sieht, solche eine Beschneidung gut zu Gesicht steht. Oder würde es dem Fußball guttun, wenn Bayern München nur 70 Prozent jener Zeit auf dem Übungsgelände verbringen dürfte, Werder Bremen aber 100?

Jedenfalls steht Red Bull nun ein sattes Viertel weniger Windkanalzeit zur Verfügung als Mercedes, das ist der plakativste Vergleich in dieser gestaffelten Tabelle. Die harte Währung dabei sind die sogenannten „Wind-on Hours“, also Stunden, in denen das Gebläse im Windtunnel an ist. Denn nur dann wird auch gearbeitet. Früher, als es noch keine Einschränkungen gab, ließen die Teams ihre Windkanäle in 24-Stundendauerschichten laufen. Fließbandarbeit an der Luftführung, die den Entwicklungswettstreit immer neu anfachte.

Das geht jetzt nicht mehr. Und obwohl die Einschränkungen schon im letzten Jahr griffen, zeitigen sie dennoch bis weit in die erste Saisonhälfte hinein Wirkung. Denn die Entwicklung eines Formel 1-Autos ist ein langwieriger, nie endender Prozess. Schon jetzt gibt es einen klaren Entwicklungsfahrplan, wann welche neuen Bauteile an die Wagen kommen. Die Vorbereitung dafür laufen immer schon mit Vorlauf an, weil es verschiedene Vergleiche und Versuche gibt, immer neue Iterationsschleifen, in denen theoretische Ideen auf ihre Praktikabilität hin überprüft werden. Meist im Windkanal, da die Testfahrten streng begrenzt sind.

Je weniger Wind-on Hours man hat, desto höher muss die Treffsicherheit bei der theoretischen Vorarbeit sein. Also bei den Simulationen mit den Computerprogrammen zur Berechnung der numerischen Strömungsmechanik, kurz CFD. Aber eine genaue Korrelation von Computertheorie in die Praxis kann es nie geben. Es gibt ja sogar Streuverluste bei der Übertragbarkeit von Windkanalerkenntnissen auf die Rennstrecke.

Ferrari und Mercedes haben bereits ein Upgradefeuerwerk für die ersten Rennen nach dem Auftakt in Nahost angekündigt. Und den Grundstein dafür längst gelegt. Damit setzen sie den Platzhirsch unter Zugzwang. Die Weltmeister müssen auf die geheime Seite der Formel 1 setzen; auf die Arbeit hinter den Kulissen, die von außen keiner sieht.

Heerscharen von namenlosen Ingenieuren sitzen Tag für Tag vor ihren Computern, um immer neue aerodynamische Einfälle und Ansätze durchzuknobeln. Es sind klassische Büroarbeiter, die höchstens ein Mal im Jahr an die Rennstrecke kommen – wenn das Team sie zum Heimrennen in Silverstone einlädt, damit sie mal aus erster Hand sehen, wofür sie jeden Tag ins Büro kommen. Es sind hochbezahlte Spezialisten mit Studiengängen aus der Luft- und Raumfahrt, die den Grand Prix-Boliden ihr Gesicht verleihen.

Ihre Erkenntnisse werden dann in einen Simulator gefüttert, für den die Pisten so originalgetreu wie möglich nachgebildet werden – bis hin zur Asphaltkörnung und zu den Schattenwürfen von Bäumen und Tribünen werden die Bedingungen an den Rennwochenenden nachgebildet. Rennfahrer, die knapp an der Hürde zum Stammfahrer gescheitert sind, hocken nun Tag für Tag in diesen „Driver-in-the-Loop“-Simulatoren und fahren in den überdimensionalen Spielkonsolen die ganzen technischen Neuerungen Probe. In der digitalen Welt wird die Realität vorausschauend abgebildet. In den Simulatoren entscheidet sich, welche Teile den Weg auf die Strecke finden und welche verworfen werden.

Die Simulatoren laufen nun im 24-Stundendauerbetrieb wie früher die Windtunnel. Rennfahrer und eigene Ingenieure gleichen die Erkenntnisse ab. Teils parallel, wenn die Einsatzteams auf der Strecke sind, um deren Daten im Gleichschritt mit verproben zu können, teils aber auch als reines Entwicklungsprogramm für die Zukunft. Wer den besten Simulator hat, gewinnt das Entwicklungswettrennen hinter den Kulissen.

Es ist die geheime Seite der Formel 1, die keiner kennt – die aber über Sieg und Niederlage mindestens ebenso entscheidet wie die reine Performance des Einsatzteams samt Fahrern auf der Strecke. Red Bull hat beim Simulator noch mal nachgelegt, verfügt über das ausgefeilteste Tool des ganzen Feldes.

Dieses Jahr muss jeder Handgriff sitzen. Sonst schwingt das Pendel im Laufe des Jahres um, und die Überlegenheit der Titelverteidiger kippt. Bahrein mag noch wirken, als stünde ein erneuter Durchmarsch von Red Bull bevor. Aber in Stein gemeißelt ist das für den weiteren Saisonverlauf keinesfalls.


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