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04.01.2017

Daily Dakar, Episode 8: Klima-Wandel


Man kann sich seine Probleme auch selbst machen. Matthieu Bäumel, der Beifahrer von Nasser Al-Attiyah, geht momentan jeden Abend auf dem Zahnfleisch. Denn der Katari hat bewusst darauf verzichtet, sich eine Klimaanlage in seinen Toyota Hilux einbauen zu lassen. Denn die zieht Motorleistung vom V8-Sauger ab – und ein höheres Gewicht nach sich. Das wollte der Marathon-Weltmeister aus Arabien nicht als Siegchancenhemmnis in Kauf nehmen.

Mit der Konsequenz, dass Bäumel an den ersten beiden Abenden der Rallye Dakar 2017 aussah wie durch den Wolf gedreht. Denn bei Außentemperaturen von teils mehr als 40 Grad schwoll die Hitze im Cockpit auf locker über 60 Grad an. Und wegen der vielen Wasserlöcher, Pfützen und Rinnsale, über und durch welche die Boliden fahren mussten, verwandelte sich das Raumklima auch noch in jenes einer Saunalandschaft. Ganz dicht sind auch die besten Dakar-Boliden nicht, und jede Furt wirkte wie ein neuer Aufguss.

Wer mit Klimaanlage fährt, wie Teamkollege Giniel de Villiers oder seit diesem Jahr erstmals auch das komplette Peugeot-Lager, sitzt dagegen den ganzen Tag bei 35 Grad im Cockpit. Das ist immer noch zu viel für unsereins, aber für durchtrainierte Sportler wohltemperiert, um optimale Fahr- und Konzentrationsleistungen abrufen zu können.

Gestern Abend hat es Bäumel dann gereicht. Im Biwak rang er Al-Attiyah das Versprechen ab, im kommenden Jahr erstmals auch eine Klimaanlage in Kauf zu nehmen.

Das fiel dem Araber leicht. Denn er weiß: Bis dahin ist der neue Hilux von Hallspeed einsatzbereit. Der verfügt dann über Heckantrieb, folgt also dem Buggy-Regelwerk wie auch der Peugeot 3008. Er darf unter anderem deutlich weniger wiegen. Da kann Al-Attiyah das Mehrgewicht der Klimaanlage verknusen.

Warum der Hilux Evo mit seinem Heckantrieb dieser Tage noch nicht bei der #Dakar2017 fährt, steht in unserer großen Dakar-Vorschau in der akuellen Ausgabe der Zeitschrift PITWALK. In dem Artikel wird auch noch mal genau rausgearbeitet, wie sich die Allradler und Buggys unterscheiden und welches Konzept welche Vorteile aufweist. Und es wird enthüllt, warum der Hilux-Hecktriebler nun doch nicht fährt, obwohl er in Südafrika schon mit viel Tamtam vorgestellt worden ist. Das brauche ich hier also nicht alles noch mal wiederholend darlegen.

Die katarische Einstellung zur Klimaanlage erinnert auf den ersten Blick ein bisschen an die Formel 1. Dort wurden noch bis vor 10 Jahren oder so die Trinkflaschen der Fahrer mit jenen kleinen Elektromotoren betrieben, wie sie im Serienauto die Scheibenwischer betätigen. Und war wirklich mit echten Wischermotoren aus der Serie. Dann setzte der von den Werksteams getriebene Leichtbau-Hightech-Wahn ein. Seitdem gibt es eigene E-Motoren für die Trinkflaschen. Die wiegen vielleicht 178 Gramm weniger, sind dafür aber 100 Mal so teuer, weil sie reine Spezialanfertigungen sind.

Al-Attiyahs Handeln ist aber verständlich. Denn als Araber ist er Hitze gewohnt. Und im Kampf des privaten Toyota-Teams gegen die Werksmannschaft von Peugeot muss er sich an jeden Strohhalm klammern. Jedes PS mehr nützt ebenso wie jedes Gramm weniger. Denn die Peugeot bleiben überlegen. Vor allem bei der Höchstleistung und bei der Endgeschwindigkeit.

Das hat die Analyse des gestrigen Tages gezeigt: Die Peugeot fahren auf den Geraden um fünf km/h schneller als die Hilux, die Mini hinken um weitere sechs km/h hinterher. Und das, obwohl die Peugeot die Luftmengenbegrenzer um einen Millimeter zuschnüren und die Hilux einen Millimeter mehr Durchmesser für ihre Restriktoren zugestanden bekamen.

Die Hilux sind daher um 20 PS stärker als im Vorjahr und um 10 km/h schneller. Da können auch die drei neuen sogenannten Mini nicht mithalten, von denen drei im Wettbewerb sind: für Yazeed Al-Rajhi, Mikko Hirvonen und Orlando Terranova.

Wer die Pressemitteilung gelesen hat, die Mini vor der Dakar rumgeschickt hat, mag das kaum glauben. Denn da war offensiv die Rede davon, dass die neue Aerodynamik des John Cooper Works unheimlich viel mehr Endgeschwindigkeit bringe.

Aus gutem Grund habe ich den PR-Text nur überflogen. Irgendwo las ich was von 14 km/h mehr. Das hat selbst bei X-Raid für Erstaunen gesorgt, als ich Insider inoffiziell darauf ansprach. Denn es herrschte Einigkeit: Um so viel könne die Stirnfläche des sogenannten Mini gar nicht kleiner geworden sein, um einen solche Riesenschritt bei den Topspeeds herauszuarbeiten. Und andere Arbeiten, etwa die Unterbringung nun auch des dritten Reserverades ins große Fach des doppelten Bodens unterm Wagen, verbessert zwar den Schwerpunkt, aber nicht die Höchstgeschwindigkeit.

Warum Mini Thesen verbreitet, die schon bei der ersten echten Verprobung – also gestern – der Wahrheit nicht standhalten können, weiß ich auch nicht. Dem Partnerteam X-Raid haben die Bayern damit keinen Gefallen getan. Denn sie führen die Entwicklungsarbeit der Hessen ad absurdum und machen deren Resultat unnötig und ungerechtfertigt schlecht.

Dabei kann man vor der Arbeit von X-Raid nur den Hut ziehen. Obwohl der Mini, der ja von seinem Rückgrat her und auch beim Dieselmotor noch dem hessischer Ur-BMW-SUV für den Marathonsport entspricht, die betagteste Basis aller Dakar-Spitzenautos aufweist, fällt den Ingenieuren von X-Raid immer noch was ein, wie man die Konstruktion den neuen Herausforderungen anpassen kann. Und das als reines Privatteam.

Mini hängt sich gern mit an, als Werk, und verkündet frohe Kunde. Aber die Arbeit machen X-Raid – und der österreichische Motorenlieferant Steyr.

Gestern hat gezeigt: Die neue Karosserieform ist vor allem dem neuen Mini-Serienmodell geschuldet. Klar, sie ist schmaler und weist auch nicht mehr die schlundartigen Lufthutzen an den Hüften auf, das bringt den Luftwiderstand runter und die Endgeschwindigkeit rauf.

Aber eben immer noch in dem Maße, das gegen die Peugeot nötig wäre.

Immerhin kann X-Raid sich heute Hoffnungen machen, die Rolle des ärgsten Verfolgers zu übernehmen. Denn das Feld kraxelt in der Speziale relativ schnell von 1.800 Metern über Normalnull auf bis zu 5.000 Meter über dem Meeresspiegel empor. Der höchste Streckenabschnitt, die fünf Kilometer, sind zwar in einer Neutralisationszone zu durchfahren, doch auch nach dem Anden-Pass geht es nicht mehr nennenswert bergab: Der größte Teil der Wertungsprüfung findet auf über 4.000 Metern über Meereshöhe statt, Zieleinlauf ist immer noch auf 3.600 Metern.

Da haben die Turbodiesel von Peugeot und BMW – pardon: Mini! – den Vorteil, dass sie den Leistungsverlust wegen der sauerstoffarmen, dünnen Höhenluft über mehr Ladedruck zum Großteil wegregeln können. Den V8-Saugern in den Toyota fehlt das dazu nötige Dampfrad, sie können nur über andere Kennfelder den Nachteil ein bisschen reduzieren – aber nicht so weit egalisieren wie die zwangsbeatmeten Selbstzünder.

Schwingt also heute schon das Pendel in Richtung der Dieselfraktion? Oder können die Ottomotorisierten ihren Zeitverlust so weit minimieren, dass Al-Attiyah und de Villiers auf Schlagdistanz bleiben?

Viel wird auf die Navigation ankommen. Das Roadbook für heute ist erschreckend dick. Und da hat de Villiers den Vorteil, in Dirk von Zitzewitz einen der besten Navigatoren der Branche neben sich zu haben. Die Orientierung in Bolivien soll zudem deutlich schwerer sein als im vergangenen Jahr, wo es ja durchaus kuriose und unfreiwillige Arbeitserleichterungen für die Cos gab, siehe auch hierzu unsere große Dakar-Vorschau in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift PITWALK.

Und während Bäumel erneut vom subtropischen Klima im Innern des Hilux gepeinigt wird, kann der Ostholsteiner Dirk von Zitzewitz entspannt und konzentriert arbeiten.


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