27.11.2024
Noch beim letzten Grand Prix in Las Vegas mussten FBI-Ermittler sich im Fahrerlager umschauen. Doch dann ging plötzlich alles ganz schnell: Als die Formel 1-Vermarkter merkten, wie ernst es die amerikanischen Kommissare es mit ihren Ermittlungen wegen möglicher Kartellrechtsverstöße meinen, schwenkten sie schlagartig um. Und nun darf das Team von Michael Andretti 2026 doch als neuer 11. Rennstall in die Königsklasse einsteigen – als Werksteam vom Detroiter Autogiganten General Motors und unter dem Banner von dessen Nobelmarke Cadillac.
In den ersten beiden Jahren startet man noch mit Ferrari-Kundenmotoren, weil GM die eigenen Hybridaggregate so schnell nicht fertig bekommt. Aber man soll ja auch nicht zu kleinlich sein. Schließlich hat die Formel 1-Oberengilde den US-Amerikanern lange Zeit den Eintritt gänzlich verwehren wollen: Zuerst wollte Michael Andretti, der bei McLaren als Rennfahrer an der Seite von Ayrton Senna in den Neunzigern keine Chance gegen den Brasilianer gehabt hatte, das Sauber-Team kaufen wollen. Das übernahm stattdessen Audi – und verschleudert es nun im Lichte der selbstgemachten VAG-Unternehmenskrise gerade wieder an einen Investmentfonds des Emirats Katar. Andretti wollte dann sein eigenes Team, mit dem er in der IndyCar, der IMSA, der Formel E und der Extreme E unterwegs ist, autark in die Formel 1 bringen. Doch er biss auf Granit: Die anderen Teamchefs mochten ihren Preisgeldkuchen nicht durch 11 statt 10 teilen, und Formel 1-Oberboss Greg Maffei ließ sich vor ihren Karren spannen: Andretti brächte der Formel 1 keinen Mehrwert, argumentierte er reichlich weltfremd.
Da Maffei als Sportrechtemakler amerikanischen Zuschnitts kein Verständnis für die Formel 1-Historie hat, wusste er womöglich wirklich nicht, dass Mario Andretti – Michaels Vater – einer der größten und charismatischsten Fahrer ist, den die Grand Prix-Szene je hatte. Andererseits: Aus der IndyCar hätte er als Ami Mario und auch Michael Andretti eigentlich kennen müssen. Aber man darf wohl nicht zu viel verlangen.
Erst als der reiche und bestens vernetzte Andretti-Clan über Kongressabgeordnete von Capitol Hill das FBI einschaltete, um die Blockadehaltung der anderen Formel 1-Teams als abgesprochene wirtschaftliche Allianz zur Sicherung der eigenen Einnahmen zu entlarven, bröckelte der Widerstand: zu hoch die Angst vor dem Imageschaden, wenn das FBI wirklich einen Kartellrechtsbruch öffentlich breittreten würde.
Um den Weg für einen Kompromiss freizumachen, bei dem auch die aktuellen Formel 1-Chefs ihre Gesichter nicht noch mehr verlieren würden als ohnehin schon, trat Michael Andretti im September von seinem Geschäftsführerposten bei Andretti zurück. Die daraufhin neu formierte Firma Andretti Global wird nun von Geschäftspartnern geführt, mit denen Michael Andretti rund um sein IndyCar-Team schon Big Business machte: Dan Towriss und Mark Walter sind die neuen Hauptanteilseigner von Andretti Global. Towriss, der neue Geschäftsführer, hat die Finanzplattform Gainbridge vor Jahren als Hauptsponsor zu Andrettis IndyCar-Team gebracht. Inzwischen gehören ihm Anteile am NASCAR-Rennstall Spier Motorsports, bei dem Mike Rockenfeller vor zwei Jahren als zweiter Deutscher nach Klaus Graf einige Rennen in der lukrativen Ovalrennserie für V8-Tourenwagenrennen fuhr, und von Wayne Taylor Racing. Der Rennstall des Südafrikaners ist eines der besten Teams in der IMSA-Sportwagenserie. Andretti hatte sich dort erst 2023 als Teilhaber eingekauft, die Anteile nun an Towriss weitergereicht. WTR wird im Januar bei den 24 Stunden von Daytona wieder mit Cadillac fahren, nachdem man zuletzt mit Acura-GTP unterwegs gewesen war.
Der andere starke Mann bei Andretti, Mark Walter, ist Chef der Finanzfirma Guggenheim Partners und der alleinvertretungsberechtigte Mehrheitsgesellschafter beim Baseball-Wordseries-Meister Los Angeles Dodgers und dem englischen Premier League-Klub Chelsea London. Mit solchen Kalibern auf der Brücke fällt es schwer, nicht an einen Mehrwert durch das Team zu glauben – erst recht, da die Formel 1-Vermarkter selbst Amerikaner sind und sich mehr um eine Expansion in die USA als um den Verbleib der Serie auf den alten europäischen Traditionsrennstrecken kümmern.
Bemerkenswert: Der Automobilweltverband FIA wollte Andretti schon in seiner ursprünglichen Form. Doch die Allianz der Teamchefs und deren Schulterschluss mit den Vermarktern vereitelte das. Zwischendurch versuchten die Bosse sogar, GM zu erpressen: Man möge sich einen anderen Partner als Andretti suchen, dann würden die Teamchefs die Blockadehaltung aufgeben und General Motors mit der Marke Cadillac reinlassen.
GM allerdings mochte sich nicht erpressen lassen und pochte auf die bestehende Vereinbarung mit Andretti.
Zwischen Las Vegas und Katar musste der Formel 1-Vermarkter schließlich klein bei geben und Andretti-GM zulassen. Die aktuellen Teamchefs haben in den Amis ihre Meister gefunden. Und sie werden sich noch wundern, welch’ politisch gewiefte und sportlich wie technisch starke Allianz sie sich da zum Feind gemacht haben. Die erste Amtshandlung nämlich lautete, Mario Andretti, das Familienoberhaupt, zum de facto-Teamchef zu machen. Und der ebenso schlaue wie öffentlichkeitswirksame alte Mann hat bereits angekündigt: Bald werde es auch einen amerikanischen Fahrer geben. Der 24-jährige kalifornische IndyCar-Pilot Colton Herta, ein Hobbyschlagzeuger in einer Punkrockband, steht dafür auf Pole.
Das Auto wird übrigens nicht in den USA entwickelt und gebaut. Andretti hat längst eine Dependance im Industriegebiet von Silverstone in England hochgezogen, mitten in Motorsports Valley. Jede Menge hochkarätige Ingenieure von Renault, nach dem Rückzug der Franzosen als Werksteam freigeworden, haben bereits dort angeheuert.
Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen: Das neue Andretti-Team wird auf Anhieb erfolgreicher als die zum gleichen Zeitpunkt einsteigende Audi-Truppe.