29.06.2023
Die Schlagzeile der Woche klingt auf den ersten Blick verblüffend. Hollywood-Superstar Ryan Reynolds steigt mit einer Investmentfirma mit 24 Prozent beim französischen Formel 1-Team Alpine ein. Das Konsortium, zu dem auch zwei Schauspielerkollegen des Kanadiers – Michael B. Jordan und Rob McElhenney – gehören, hat dafür umgerechnet 200 Millionen Euro hingeblättert. Der Gesamtwert des Rennstalls sei damit auf 900 Millionen gestiegen, ließ das Team ungefragt wissen.
Was für ein Rennteam erstaunlich klingt, hat in der Formel 1 längst Methode. Alpine war der letzte Rennstall, der noch keinen externen Investor gefunden hatte – wenn man von Ferrari und den beiden Red Bull-Abordnungen mal absieht, die ganzheitlich in den Händen der namensgebenden Limonadenabfüller aus dem Salzburger Land sind. Selbst das Mercedes-Werksteam führt seinen Namen eigentlich zu Unrecht: Jim Ratcliffe und Toto Wolff gehört die Mehrheit an dem Rennstall, Mercedes hat sich mit einer Minderheitsbeteiligung nur die Namensrechte gesichert.
Die Formel 1 ist ein millionenschweres Geschäft. Die Jahre, in denen Garagisten wie Ken Tyrrell, Frank Williams, Bruce McLaren und Ähnliche ihre Teams führen konnten wie etwa Freddie Lindgren sein Speedway-Geschäft, sind längst vorbei. Wenn sie könnten, wie sie wollten, würden die großen Teams alljährlich mehr als eine halbe Milliarde Euro in den Motorsport stecken; in die Entwicklung und Einsätze der Autos. Das kann sich ein unabhängiges Team längst nicht mehr leisten, auch für Autohersteller sind solche Kosten nicht durch den medialen Gegenwert der Werbung zu rechtfertigen.
Ron Dennis hat die Kunst, externe Investoren zu ködern und das Team dennoch McLaren zu nennen, zur Perfektion getrieben. Der ehemalige Lotus-Mechaniker ist so selbst zu einem Milliardär geworden: Er hat das Team geführt und an den Einnahmen aus den Preisgeldtöpfen der Formel 1-Ausrichterfirma FOM üppig mitverdient, das finanzielle Risiko aber an immer neue Anteilseigner abgewälzt. Als Dennis dieses Modell einführte, hat sein alter Erzrivale Williams zusammen mit seinem Teilhaber und Freund Patrick Head Williams Grand Prix Engineering noch allein geführt und besessen. Eine Buchhaltung im klassischen Sinne gab es dabei nicht, die englischen Steuerbehörden nahmen es über Jahrzehnte nicht so genau. Die Teams waren auch eine Art Selbstbedienungsladen – die von ihren Bossen allerdings nie nach Wirecard-Vorbild geplündert wurden. Denn die Liebe zum Motorsport und die Besessenheit vom Erfolg sorgte dafür, dass die Chefs einen Großteil der Einnahmen wieder ins Team steckten.
Das Dennis-Modell kam immer mehr in Mode, je teurer die Entwicklung der Autos wurden. Windkanalstunden und Hochleistungsrechner verschlingen Millionen. Die Belegschaft der Ingenieure rekrutiert sich aus hochgebildeten Schnelldenkern mit Vorkenntnissen meist aus der Luft- und Raumfahrtbranche, nach denen sich auch die Industrie da draußen die Finger lecken würde.
Allein die Voraussetzung, auf geregelte Arbeitszeiten zu verzichten, macht Rennteams für Hersteller weitgehend unrealisierbar. Gewerkschaftliche und sonstige arbeitsrechtliche Forderungen stünden dem Arbeitsaufwand einer normalen Firma im Wege. Zudem sind die meisten Spezialisten Engländer oder Australier, die in England leben. Die haben nicht mal Lust, nach Italien zu Ferrari zu ziehen – was denn erst, wenn ein deutscher Hersteller wie Mercedes am Firmensitz ein Team aufbauen wollte? Das wirtschaftliche und wissenschaftliche Leben der Formel 1 konzentriert sich im Motorsports Valley – eine Art Gegenstück zum Silicon Valley – rund um die englische Rennstrecke Silverstone, wo die Firmen riesige Industriekomplexe bevölkern.
Externe Investoren liefern ihnen den wirtschaftlichen Rahmen, um ihre Infrastruktur wie ein Großunternehmen aufbauen zu können. Die Renneinsätze bilden nur die Spitze des Eisbergs, die wahre und vor allem kostspielige Arbeit findet unter der Woche hinter den streng abgeschirmten Werkstoren statt. Ein Team hat dabei die Größe des VW-Werks auf dem Rysumer Nacken.
Seit die Etatobergrenze eingeführt wurde und die amerikanische Agentur, welche die Rechte von Bernie Ecclestone übernahm, den Wanderzirkus auf maximalen Profit mit Anzahl der Rennen bis an die Schmerzgrenze trimmt, steigt der nominelle Wert eines jedes einzelnen Teams. In der Ära Ecclestone waren Rennställe meist Zuschussgeschäfte – von denen ersten Drei oder Fünf der WM-Gesamtwertung mal abgesehen. Die Investoren mussten Geld nachschießen. Sie taten das, weil sie Steuern sparen oder – wie ein bahreinischer Staatsfond bei McLaren – ein größeres Ziel verfolgten, nämlich den Inselstaat bekannt zu machen. Diese Wirtschaftlichkeit hat sich unter den neuen Formel 1-Machthabern gewandelt: Ein Rennstall steigt seit drei Jahren wieder in seinem Wert, man kann seine Anteile also nach einer gewissen Zeit gewinnbringend weiter verkaufen. Das Modell gibt’s in den USA, etwa in der NFL, beim Eishockey und auch in der NASCAR und IndyCar, schon lange.
Den reinen Rennställen ist das meist egal. Die Spezialisten in ihren Reihen bauen Rennwagen, so gut sie eben können. Und die besten Rennautos kommen seit Jahrzehnten aus England. Selbst Red Bull nutzt sein Investment nur als Hülle für eine Operation in Milton Keynes, einer Trabantenstadt am Rande des Motorsports Valley. Wenn die Limofirma die Lust verliert, sucht das Team halt einen neuen Investor – und konstruiert seine Autos unter dem Namen einer anderen Firma.
Wie man das zum Exzess treibt, zeigt das Beispiel Alfa: Das ehemalige Sauber-Team sitzt in der Schweiz, hat schwerreiche schwedische Investoren, die eigentlich Marcus Ericsson als Fahrer binden wollten, aber auch ohne ihren Landsmann im Cockpit dabei geblieben sind, und Alfa klebt als Sponsor seine Logos drauf und darf nach außen so tun, als seien es italienische Autos. Zumindest solange, bis Audi kommt und als Investor einsteigt, um die Infrastruktur von Sauber zu nutzen.
Wenn das denn noch geschieht. Denn seit am Donnerstag Konzernchef Marcus Dussmann abgesägt wurde, schwebt über den Audi-Plänen für 2026 ein großes Fragezeichen.