+++ 2024-08-29 19:14 : Blog – warum will niemand Mick Schumacher? +++ 2024-08-18 11:14 : Blog – der unsinnigste Vergleich des Jahres +++ 2024-08-08 17:24 : Podcast – Erinnerungen an Speedwaystar Tommy Dunker. Interview von Norbert Ockenga mit Weggefährte und Rivale André Pollehn +++
BACK

26.08.2022

Von Piastri zu Fricke


Silly Season – die Alberne Saison. So heißt in der Formel 1 jene Phase, in der sich das Fahrerfeld für das nächste Rennjahr sortiert und während der ein Gerücht über Cockpitwechsel und Neuverpflichtungen das andere jagt.

Dieses Jahr ist die alberne Saison besonders albern. Hauptdarsteller in einer Komödie, wie sie kein Autor dem Ohnsorg-Theater passender auf den Leib hätte schreiben können: Oscar Piastri, ein junger Australier mit dem Potenzial, der legitime Nachfolger von Alan Jones zu werden – dem letzten Weltmeister vom Fünften Kontinent.

Piastri ist binnen 24 Stunden zum Star der Königsklasse geworden, obwohl er noch nie ein Formel 1-Rennen gefahren hat. Denn er sollte bei Alpine den Platz von Fernando Alonso einnehmen – möchte das aber gar nicht.

Auslöser der ganzen „Tratsch im Treppenhaus“-Neuauflage ist der Rücktritt von Sebastian Vettel. Der, so weiß man inzwischen, ist eine ähnlichen Drehbuch gefolgt wie jener von Michael Schumacher einst bei Ferrari: Halb sank er hin, doch viel mehr zog es ihn – von seinem Team aus. Denn die Aston Martin-Chefetage hatte längst gespürt, dass in Vettel Zweifel nagten – und ihre Mohrrüben Fernando Alonso unter die Nase gehalten. Der Spanier ist nicht nur mit ausnehmend viel Rennintelligenz und Grundschnelligkeit beschlagen – sondern auch ein Meister der Intrige und Selbstdarstellung.

Er ließ die Karotte nicht lange baumeln. Wissend, dass bei Alpine aufgrund französischer Strukturschwächen und Reibungsverlusten zwischen englischen und französischen Technikern nichts vorwärtsgeht, griff er das Aston-Angebot auf – setzte den Verantwortlichen aber eine Frist. Und die fiel kürzer aus als jene Bedenkzeit, die Vettel sich ausbedungen hatte. Der wollte nämlich in den Sommerferien in Ruhe in sich gehen. Da die Aston-Chefetage fürchtete, was er dort finden würde, suchten die Bosse eine Alternative – und fanden sie in Alonso. Der musste allerdings schnell die Zusage bekommen, sodass Vettel am Ende förmlich zu seinem Rücktritt gedrängelt wurde – halb gegen seinen Willen. Was auch die etwas verquaste Begründung erklärt.

Bei Alpine wiederum waren die Bosse davon ausgegangen, dass Alonso bleibe. Und waren derart überrumpelt, dass sie sich einem Gestrüpp von Ausflüchten, Notlügen und Fehlinterpretationen verfingen. Höhepunkt des Possenspiels war die Bekanntgabe der Beförderung von Piastri aus dem Testfahrer- und Entwicklungsprogramm zum Stammpiloten – ohne den Australier vorher zu konsultieren.

Dabei hat Alpine-Chef Otmar Szafnauer, ein Amerikaner, die Rechnung ohne Piastris Betreuer Mark Webber gemacht. Der hatte nämlich längst mit McLaren-Teamchef Andreas Seidl über eine Verpflichtung seines Schützlings gesprochen. Seidl und Webber kennen einander in- und auswendig, seit Seidl vor seiner Zeit bei McLaren als Teamchef das Porsche 919-Projekt bei den 24 Stunden von Le Mans und in der Sportwagen-WM geleitet hat – in dem Webber eine der fahrerischen Eckpfeiler war.

Seitdem weiß Webber, wie der mega-ehrgeizige Passauer tickt: Er orientiert sich rein an den Daten, wenn er die Performance der Fahrer bewertet. Persönliche Befindlichkeiten spielen für ihn keine Rolle. Er gilt als harter Hund mit nüchternem Blick auf die Fakten. Und die zeigten: Daniel Ricciardo kommt mit den neuen Autos, die es seit diesem Jahr gibt, nicht so gut klar wie nötig, um McLaren voranzubringen. Denn die Hochabtriebswagen erfordern einen anderen Fahrstil als den eigentümlichen des Australiers aus Perth, und den konnte er sich – vor allem auf der Bremse – bislang partout nicht angewöhnen. Deswegen sortierte Seidl ihn aus – und hörte auf seinen Expiloten Webber, der Landsmann Piastri als Toptalent mit jeder Menge Perspektive pries.

Dass Webber dabei ausgerechnet einem Australier den Garaus machte, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Denn der schlaksige Hobbyradfahrer stammt selbst vom Fünften Kontinent – und hat im Laufe seiner Karriere immer schon anderen Aussies geholfen, im großen Motorsport Fuß zu fassen. Vor Piastri lieh er etwa Will Power das nötige Geld, das der mitbringen musste, um im nordamerikanischen IndyCar-Gefüge seine ersten Schritte tun zu können. Im Speedwaysport unterstützte Webber zuerst Jason Crump – und fördert inzwischen Max Fricke, der im Sommer in Volens gerade Mannschaftsweltmeister geworden ist und zudem in Warschau dieses Jahr seinen zweiten Grand Prix-Sieg feierte.

Webber weiß, wie wichtig es für junge Sportler ist, in den Prägejahren gefördert und angeschoben zu werden. Er hat das zu Formel Ford-Zeiten selbst erlebt, als Ford-Mitarbeiterin Ann Neal ihm half. Die resolute Engländerin ist heute Webbers Lebensgefährtin – in einem Paar, über das man im Fernsehen stilecht den Blick rümpfen würde, denn sie ist erheblich älter als er. Und später war Paul Stoddart, ein aus Australien stammender Fluglinienbesitzer, ein weiterer Förderer von Webber: Er hat ihn seinerzeit ins Minardi-Team gehievt, das Stoddart kurz zuvor gekauft hatte.

Ricciardo hat sich den sang- und klanglosen Abgang von McLaren mit einem goldenen Handschlag versüßen lassen – mit einer millionenschweren Abfindung. Und er könnte unerwartet weich fallen. Denn Audi hat gerade seinen lange gemunkelten Formel 1-Einstieg ab 2026 bekanntgegeben. Dazu werden die Ingolstädter das Sauber-Team kaufen, das bislang noch unter der Flagge von Alfa segelt. Die Rolle von Sauber als Ferrari-Grundausbilder wird damit obsolet, das neue Team braucht gescheite Fahrer. Und Ricciardo ist der beste, der sich derzeit am Markt befindet.


Teile diesen Beitrag

Das könnte auch interessant sein:

  • 22.01.2025

    Mehr Wüsten wagen

    Na gut, die Rallye Dakar mag vorbei sein. Aber das ist kein Grund, dem Marathonrallyesport jetzt den Rücken zu kehren. Denn nach der Dakar ist immer auch mitten in der WM – mit ein…
  • 03.01.2025

    Breaking News – neu auf PITWALK TV!

    Und gleich noch eine Neuigkeit im digitalen Angebot der PITWALK-Collection, die pünktlich zum Start der Rallye Dakar 2025 online geht. Ab sofort gibt es bei den Shorts von PITWALK …
  • 02.01.2025

    PITCAST schaltet live ins Dacia-Biwak

    Die verschiedenen Formate der PITWALK-Collection bewähren sich auch in diesem Jahr als die Anlaufstelle Nummer 1 für alle Fans der Rallye Dakar. Vor allem die digitalen Angebote, d…
  • 30.12.2024

    Alles zur Dakar 2025

    Auch im Jahre 2025 ist PITWALK wieder die Quelle schlechthin für alle Informationen und Hintergründe zur Rallye Dakar. Die Internetseite http://www.pitwalk.de wird zur Drehscheibe …
  • 24.12.2024

    Es weihnachtet überall

    Das Team von PITWALK wünscht allen Lesern und Freunden des Hauses Frohe Weihnachten! Danke für all' Eure guten Wünsche zum Fest und das viele Lob das ganze Jahr über. Jetzt kehrt …
  • 22.12.2024

    Meistertitel zu Weihnachten

    Yazeed Al-Rajhi und sein brandenburgischer Beifahrer Timo Gottschalk haben am Samstag vorm Vierten Advent das Finale der Marathonrallyemeisterschaft Saudi-Arabiens gewonnen – und s…
  • 15.12.2024

    Gottschalk vor Titel in Saudi

    Timo Gottschalk steht kurz vor der erfolgreichen Titelverteidigung in der Marathonrallyemeisterschaft von Saudi-Arabien. Der Brandenburger aus der Nähe von Neuruppin ist beim Saiso…
  • 05.12.2024

    Biedermann & Brandstifter

    Urplötzlich kriegt das Saisonfinale doch noch mal eine ganz besondere Würze. Denn es bahnt sich eine Rivalität zwischen zwei Fahrern an, die derart intensiv ist, dass sie auch von …
  • 03.12.2024

    Echte Helden

    Hallo lieber PITWALK-Freund, na hoppla, das war doch mal eine Resonanz auf die erste Themenvorschau der neuen Ausgabe. Vor allem die Erinnerungen seiner Witwe an John Winter schei…
  • 01.12.2024

    John-Winter-Zeit

    Hallo lieber PITWALK-Freund, still und besinnlich wird die Weihnachtszeit noch lange genug. Also ist es höchste Zeit, ein Mal noch motorsportlichen Hochgenuss aufheulen zu lassen …
  • 27.11.2024

    Andretti besser als Audi?

    Noch beim letzten Grand Prix in Las Vegas mussten FBI-Ermittler sich im Fahrerlager umschauen. Doch dann ging plötzlich alles ganz schnell: Als die Formel 1-Vermarkter merkten, wie…
  • 21.11.2024

    Vettel Opfer des VW-Chaos

    Der Anflug auf Las Vegas ist immer eine besondere Schau. Denn meistens kommt man nicht nur direkt über den Strip – also die glitzernde Meile voller Kasinos und anderer Sündenpfuhle…
2025 – BILD-PUNKTE LAREUS.MEDIA