25.01.2023
So viel Vorfreude war seit Weihnachten nicht mehr. Am Wochenende feiert die neue GTP-Klasse ihren Einstand – bei den 24 Stunden von Daytona. Dort debütieren die LMDh von Porsche, Cadillac, Honda-Acura und BMW. Sie sollen in der nordamerikanischen IMSA-Serie um den Gesamtsieg fahren, also die alten DPi ablösen – und in der WM auf Augenhöhe gegen die Hypercars von Toyota, Peugeot und Ferrari fahren.
Wohin man auch hört – die Rede ist von einer neuen Goldenen Ära des Sportwagensports. Der dritten seit der Gruppe C und der LMP1. Nicht zuletzt deshalb wird die kommende Ausgabe von PITWALK, Deutschlands größter Motorsportzeitschrift, direkt in Daytona recherchieren – und genau diese neue Goldene Epoche zum Titelthema seiner 180 Seiten dicken Februar-Ausgabe erheben.
In Daytona heißt die LMDh noch GTP. Damit nimmt sie Anleihe an die Goldene Ära der IMSA: Als in Europa und der WM die Gruppe C die Massen begeisterte, hielten die Amerikaner ihre nationale Meisterschaft nach vergleichbaren Regeln ab – aber eben nicht nach ganz denselben. Genau deswegen musste in den Achtzigern aus dem Porsche 956 der Porsche 963 werden: mit einem um 12 Zentimeter gestreckten Radstand. Denn die Amis, sonst in Sicherheitsfragen wahrlich nicht zimperlich, bestanden darauf, dass die Füße der Fahrer hinter der Vorderachse lagen. Also musste Porsche seinen Erstling der Gruppe C längen – und der nach vorn gestreckte 956 war dann halt der 962.
Die ganze Geschichte der Porsche, die in der Anfangsphase der Gruppe C die neue Klasse dominierten, ist eine Geschichte für sich – die berühmte Singer-Delle inklusive. Electramotive etwa hat erfolglos versucht, diese aerodynamische Finesse unter dem vorderen Unterboden für seine Nissan GTP in der IMSA nachzubauen.
Was nur zeigt: Die Anforderungen der nordamerikanischen Rennstrecken unterscheiden sich grundsätzlich von jenen der europäischen Pisten, auf denen weiland die WM der Gruppe C zuhause war. Das unterstreicht auch die Formensprache der Rennwagen: In der IMSA dominierten schon bald Keile wie der Electramotive-Nissan, der Gurney-Toyota oder die Corvette. In Europa waren rundere, wohlproportionierte Boliden wie – nacheinander – der 962, die Jaguar XJR und die Sauber-Mercedes tonangebend.
Wiederholt sich nun die Geschichte? Oder kann die vielzitierte Konvergenz zwischen IMSA und Sportwagen-WM tatsächlich funktionieren? Die Unterschiede bei den Rennstrecken bleiben. Und sie sind zumindest jetzt noch nicht aussagekräftig. Denn auf dem Superspeedway, in diesem riesigen Nudeltopf vor dem Haff von Daytona am Atlantik, gelten andere Gesetze als auf fast allen WM- und IMSA-Bahnen: Die Kombination aus engem Geschlängel im Innenfeld und einer endlosen Vollgaspassage durch die keilerstiegartige Steilkurve und über Start/Ziel hinweg macht Daytona zu einer ähnlichen Ausnahme im Sportwagenkalender wie Spa oder Monza bei der Formel 1. Auch Sebring, der Austragungsort des zweiten Laufs im März, ist wegen seiner ganz besonderen Charakteristik mit dem holprigen Beton auf alten Militärflugplatz-Runways nicht aussagekräftig.
Es ist fast schon müßig, jetzt darüber nachzudenken. Denn in Daytona steht zunächst mal eine gewaltige Schlacht ins Haus. Allein der Kampf zwischen den bisherigen Platzhirschen von Cadillac und Honda-Acura mit den Rückkehrern von Porsche wird schon das Eintrittsgeld wert sein. Was der neue BMW da einbringen kann, ist schwer zu sagen, denn bei den Bayern hat in den vergangenen Jahren in der Motorsportabteilung das Chaos regiert. Haben die jüngsten Personalwechsel in der Chefetage das schon auflösen können? Oder hat die Entwicklung des LMDh noch unter den Comedies of Errors gelitten?
Wie etwa auch die Audi-Einsätze bei der gerade vergangenen Rallye Dakar? Immerhin hat in Bayern ein bemerkenswerter Austausch und gleichzeitig ein Copy-&-Paste bei der Motorsportstrategie zwischen Audi und BMW stattgefunden – Moves, von denen bislang keine der einstigen Rennsporttraditonsmarken profitiert hat.
Audi hat die LMDh-Pläne mehr oder weniger stillschweigend und vor allem beschämt begraben, weil alle dafür eingeplanten Mittel für die Entwicklung eines ganz neuen E-Tron für die Rallye Dakar im Januar benötigt werden mussten. Prompt bekam Audi bei der Dakar ordentlich auf die Mütze. Nach dieser Demütigung wird die Marke in der Versenkung verschwinden. Wenn es noch Erfolge gibt, dann nur, weil Teams mit Audi-Fahrzeugen antreten, die sie schon lange einsetzen – siehe den Gesamtsieg von Phoenix Racing beim 24-Stundenrennen auf dem Nürburgring im vergangenen Jahr. Das war ein reiner Triumph des Rennstalls. Fast ist man geneigt zu sagen: Nicht wegen, sondern trotz Audi hat das Team von Ernst Moser den Eifelklassiker gewonnen.
Audi hat sich die Lorbeeren nur zu gern umgehängt. So funktioniert Kundensport. Und da ist auch nichts gegen zu sagen – solange man auch im Spitzensport seriös engagiert ist. Audi aber führt ein Borkenkäferdasein – während Porsche und BMW sowohl den Werks- als auch den Kundensport pflegen.
Das zeigt sich dieser Tage in Daytona.
Das Debüt der neuen Fahrzeuggeneration erinnert an die Einführung der Grand-Am, als es noch die alte GT1 mit Chrysler Viper & Co. gab. Im ersten Jahr waren die Prototypen so anfällig, dass eine Oreca-Viper die 24 Stunden von Daytona gewann – obschon die Schlange mit Karl Wendlinger und seinen Mitstreitern eigentlich nominell nur in der Zweiten Liga an den Start gegangen war. Jetzt sind GT3-Autos in der Division 2 am Start. Die Diskrepanz zwischen GTP und GT3 müsste eigentlich so groß sein, dass selbst bei mannigfaltigen technischen Problemen der neuen Hybridgeneration kein GT3 ganz vorn reinfahren dürfte.
Und wenn? Dann macht es doch nüscht. Dann gibt es halt wieder mal die Geschichte von David gegen Goliath, eine moderne Interpretation der Heldensaga. Es würde eine Momentaufnahme bleiben; ein Schwedenfeuer in dunkler Winternacht, das nur so lange glimmt, bis die GTP, also die LMDh, ihre Technik in den Griff gekriegt haben.
Also bis Sebring.
Und da erfolgt dann der nächste Gradmesser: Beim Zwölfstundenrennen sind die GTP noch unter sich. Doch tags drauf erfolgt der Auftakt der Sportwagen-WM. Da treten die Hypercars von Toyota, Peugeot und Ferrari gegen die LMP2-basierten Einheitsautos von Porsche und Cadillac an. Die Technik der Hypercars ist ausgereifter und anspruchsvoller. Doch die Regelmacher des ACO wünschen, dass die LMDh gegen die Hypercars konkurrenzfähig sind. Das wird eine Megaaufgabe. Denn die Hypercars verfügen fallweise über Allradantrieb, de LMDh nicht – ihr Hybridsystem befindet sich in der Getriebeglocke, wie eine große Technikgeschichte in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift PITWALK plastisch enthüllt.
Eine Balance of Performance soll’s dann richten, die beiden Konzepte auf Augenhöhe gegeneinander rennen zu lassen. Ob das funktioniert? Darum kümmern wir uns mal nach Daytona.
Jetzt gilt es erstmal, die Feuertaufe der neuen GTP-Boliden von Porsche, Cadillac, Honda-Acura und BMW zu genießen – bei einem Rennen, das zu einem Highlight des Jahres zu werden verspricht.
Deswegen wird PITWALK auch ab Freitag regelmäßig live aus Daytona berichten – in der Podcast-Reihe PITCAST, die zuletzt während der Rallye Dakar alle Zugriffsrekorde gerissen hat.
Seid Ihr dabei?