25.08.2023
Die großen Ferien sind vorbei. Nicht nur in den meisten deutschen Bundesländern, sondern vor allem in der Formel 1. Vier Wochen Rennpause seit Spa – in genau diesen Zeitraum haben alle Teams jene zwei Wochen eingebettet, in denen sie ihre Belegschaft nach Hause schicken und die Arbeit in den Fabriken ruhen lassen müssen.
Doch heißt das wirklich, dass in der Grand Prix-Szene vier Wochen lang nichts passiert ist? Mitnichten. Zum einen haben die Teams nur die Verpflichtung, zwei Wochen lang dichtzumachen. In der Woche nach Spa und in der Woche vor Zandvoort hatten sie schon wieder ganz normalen Betrieb. Nach Belgien gab es die üblichen Analysen und Nachbesprechungen, bei denen die Daten durchforstet und die zurückgebrachten Autos genau inspiziert werden. Das dauert in der Regel zwei bis drei Tage. Die ersten Erkenntnisse daraus kann man noch in die unmittelbare Vorbereitung fürs nächste Rennen in die EDV einpflegen – solange man nicht zum Schluss gekommen ist, dass man neue Teile etwa für die Luftführung entwickeln und bauen muss. Denn das erfordert einen längeren Vorlauf als die eine Restwoche vor der Sommerpause.
Vor Zandvoort konnten jene Teams, deren Entwicklungsfahrplan Upgrades für den Kurs in den niederländischen Dünen vorgesehen hat, die neuen Teile dann auch fertigen, durch die Qualitätskontrolle schicken und an die Wagen montieren, ehe die auf dem Landweg – von England per Fähre von Dover nach Calais – auf die Reise gebracht wurden.
Denn in den zwei Wochen, in denen die vom Regelwerk erzwungene Sommerfrische grassiert, ist es tatsächlich nur einer Handvoll Mitarbeiter erlaubt, die Teamsitze überhaupt zu betreten: Mitarbeiter vom Marketing und aus der Personalabteilung sowie der Buchhaltung – und der IT- und Betriebsausstattungsabteilungen. Die haben nämlich zwei Wochen lang freie Bahn, in aller Ruhe arbeiten zu können. Das geht los mit dem Austausch von Schreibtischen oder Büromöbeln und geht weiter bis hin zur Wartung des Windkanals, Updates für die Riesenrechner mit ihren Simulations- und Programmen zur numerischen Strömungsberechnung und Austausch von Werkstattmaterial. Da außerhalb der zwangsweisen zwei Schließungswochen jedes Formel 1-Werk an sieben Tagen die Woche im Schichtbetrieb 24 Stunden pro Tag unter Dampf steht, können solche Updates, Upgrades und Wartungen sonst immer nur nebenbei stattfinden. Deswegen haben Teams ihre Wartungs- und Instandsetzungsabteilungen darauf geschärft, möglichst in den ominösen zwei Wochen 24-Stundenschichten zu schieben.
Auch sonst gibt es einige Ausnahmen von den strengen Sommerferien: Mitarbeiter jener Abteilungen, die an den Historischen Fuhrparks alter Rennwagen schrauben, dürfen das auch in den Sommerferien tun. Und wenn ein Team einen Riesenunfallschaden zu beklagen hat und die berechtigten Bedenken nachweisen kann, den bis zum ersten Rennen nach der Sommerpause nicht repariert zu kriegen – dann wird auch den Mechanikern für die Arbeiten an diesem einen Wrack eine Ausnahmegenehmigung erteilt.
Ansonsten sind die Regeln streng. Sie wurden 2014 eingeführt, weil die Anzahl der Rennen immer mehr wurden – und die Funktionäre meinten, den Mechanikern und Ingenieuren eine Ruhepause zwangsverordnen zu müssen. Denn eines ist klar: In einer so hart umkämpften Welt wie der Formel 1 geht niemand freiwillig in Urlaub und macht erst recht keine starren Betriebsferien, wenn er weiß, dass die Konkurrenz in dieser Zeit munter weiter entwickelt und arbeitet. Deswegen setzten die Regelmacher auf das kommunistisch angehauchte Instrument von Zwangsferien.
In den Vorschriften dafür findet sich sogar ein Passus, der ausdrücklich vorsieht: In jenen zwei Wochen, die das jeweilige Team für seinen Generalurlaub angemeldet hat, müssen sogar sämtliche Emails mit einer automatisierten Abwesenheitsnotiz beantwortet werden.
Trotzdem ist die Überwachung nicht einfach. Denn es gibt keine Spionageabteilung, die jeden Tag bei den einzelnen Werkshallen vorstellig wird. Vielmehr setzen die Funktionäre auf eine freiwillige Selbstkontrolle – und auf den Faktor Neid. Es gibt eine „Ethik- und Compliance-Hotline“ der FIA, bei der man anrufen kann, um jemanden anzuschwärzen, der gegen die Benimmregeln verstößt. Dabei geht es nicht nur um den Werksurlaub, sondern etwa auch um Industriespionage und andere wirtschaftskriminelle Handlungen, welche der Automobilweltverband mit der Telefonhotline unterbinden möchte. Die Abschreckung ist dabei die größte Waffe: Weil man fürchtet, erwischt und verpetzt zu werden, lässt man solche Verstöße lieber ganz – so die Hoffnung der FIA.
Eine Grauzone allerdings können die Funktionäre nicht ausschließen. Ingenieure arbeiten nicht einfach nur in der Formel 1 – sie leben den Motorsport, 24 Stunden am Tag. Ihre Gedanken kreisen permanent um die Verbesserung der Autos, um neue Techniklösungen und innovative Ansätze. Und das Denken kann den Ingenieuren – oft verschrobene Genies – niemand verbieten. Genauso wenig wie das Niederschreiben ihrer Ideen aus den Ferien in private Notizbücher oder eigene Laptops – auf denen sie natürlich auch Simulations- und CFD-Software drauf haben. Und auch, dass man sich mit Kollegen auf ein Bier oder zum Essengehen trifft, ist nicht frevelhaft. Also tobt hinter den Kulissen auch in den Sommerferien der Entwicklungswettlauf weiter.
Denn in der Formel 1 war das Home Office schon Usus, weit bevor dieser Begriff das deutsche Arbeitsweisen erreicht hat.