05.12.2024
Urplötzlich kriegt das Saisonfinale doch noch mal eine ganz besondere Würze. Denn es bahnt sich eine Rivalität zwischen zwei Fahrern an, die derart intensiv ist, dass sie auch von der Winterpause nicht eingedämmt oder gar erstickt werden kann – sondern die vielmehr das Zeug zu einem neuen Hassduell hat.
George Russell hat Max Verstappen im Nachgang des Katar-Grands Prix quasi den Krieg erklärt – und gleich mit angekündigt, dass er künftig nie mehr zurückziehen werde, sollte es zu direkten Konfrontationen mit dem Niederländer kommen. Weder auf noch neben der Bahn.
Das hat etwas von Ayrton Senna und Alain Prost. Nur mit weniger Testosteron. Denn gerade Russell ist eigentlich ein typischer Vertreter eines Mercedes-Piloten: Der 26-Jährige aus King’s Lynn im ostenglischen Norfolk – wo es auch eine berühmte Speedwaybahn gibt – kommt stets wohltemperiert daher: glattrasiert, die wallenden Haare bieder frisiert, dauerlächelnd und jedes Wort zur letzten Silbe hin betonend, damit es freundlich wirkt. Meist redet er so gehalt- wie Olaf Scholz und so salbungsvoll wie Robert Habeck.
Mercedes mag diese Art von Fahrern. Denn in der Wahrnehmung des Unternehmens sorgen sie dafür, dass alle Begeisterung der Fans nicht auf den Fahrer zurückfällt, sondern einzig und allein auf die Marke. Das ist zwar ein Irrglaube, denn jeder Motorsport definiert sich über seine Helden und deren Leistungen; der Herstellerschnack, „the car is the star“ hat noch nie gestimmt. Aber Daimler hat seine Fahrer schon seit der Kooperation mit McLaren, bereits zu Zeiten von Mika Häkkinen und David Coulthard, förmlich so dressiert, dass sie möglichst wenig von ihrem wahren Charakter zeigen.
Russell war der Inbegriff dieses Pilotus Anonymus: schnell, technisch versiert, ehrgeizig – aber in der öffentlichen Wahrnehmung nicht existent. Als Fan möchte man solche Fahrer nicht sehen. Und sie sind maßgeblich der Grund dafür, dass Mercedes trotz all’ der Erfolge auf der Piste immer noch kein Image aufgebaut hat.
Wird aus dem Biedermann jetzt plötzlich ein Brandstifter?
Dann bekäme Max Verstappen, der unumwundene Platzhirsch der aktuellen Generation, zum ersten Mal einen Herausforderer, der nicht im entscheidenden Moment mit eingekniffenem Schwanz abzieht. Lando Norris? Hatte über weite Teile der zweiten Saisonhälfte das bessere Auto, ist aber einfach zu brav; ein typischer Vertreter der Generation Z, dem es am allerletzten Biss und der nötigen Portion Einsatz und Ruchlosigkeit fehlt. Charles Leclerc? Hat versucht, sich als neuer Kontrahent in Szene zu setzen, bricht aber in entscheidenden Phasen leistungsmäßig immer wieder ein und ist einfach nicht konstant schnell genug, um Verstappen gefährlich werden zu können.
Russell ist da aus anderem Holz. Er hat die Grundschnelligkeit und vor allem ein unbändiges Gefühl für die optimale Reifennutzung. Und, das hat man beim von ihm forcierten Taktikwechsel in Spa gesehen, er verfügt auch über die nötige Rennintelligenz. Der Engländer braucht nur ein Auto, das nicht so eine divenhafte Wundertüte ist wie der Mercedes Baujahr 2024: Wenn die Schwaben, deren Wagen in Brackley in England entwickelt und gebaut werden, es für 2025 schaffen, dass ihr neues Modell nicht nur bei geringer Bodenfreiheit und ganz straffem Fahrwerk funktioniert, dann kann Russell Großes bewegen.
Im Nahen Osten hat er sich auf bemerkenswerte Weise gegen Verstappen in Szene gesetzt – im Fahrerlager. In der Qualifikation hatte er den Niederländer verpetzt, weil er sich von dem aufgehalten fühlte – und ihn dann bei der direkten Anhörung bei der Rennleitung böse angeschwärzt. So sehr, dass Verstappen ihm eine gespaltene Zunge vorwarf und sich einließ, er hätte jeglichen Respekt vor dem Mann mit den zwei Gesichtern verloren.
Das brachte Russell derart auf die Palme, dass er sich nach dem Rennen in Katar in Rage redete: Verstappen und sein Umfeld hätten alles versucht, um Christian Horner als Teamchef zu entmachten; Verstappen sei unter Druck anfällig für Fehler; er behandele sein Team herablassend und respektlos, sodass nach dem ersten Rennen, bei dem der Red Bull nicht mehr überlegen sei, ein Viertel von Verstappens Ingenieurstab sich samt Lebensläufen bei Mercedes, McLaren und Aston Martin beworben hätten. So einen, grollte Russell weiter, könne er nicht respektieren.
Der Wutausbruch war genau so kalkuliert wie jener von Nochkanzler Scholz nach der Entlassung von Christian Lindner und dem Platzen der Ampelkoalition – nur dass Russell ihn nicht auch von einem Manuskript abgelesen, sondern frei formuliert hat. Der Engländer wollte Verstappen damit zeigen: „Nicht mit mir.“
Genau darauf hat die Formel 1 lange gewartet: dass endlich mal einer nicht vorm Niederländer kuscht, sondern ihm den Fehdehandschuh hinwirft. Bleibt zu hoffen, dass Mercedes das nicht wieder aus falsch verstandener politischer Korrektheit entkernt, sondern die Rivalität laufen lässt. Dann steht in Abu Dhabi und im ganzen Jahr 2025 beste Unterhaltung bevor.