04.12.2020
Natürlich überstrahlt die eine Personalie alles. Mick Schumacher in der Formel 1, die Rückkehr des großen Namens – das ist nicht nur in Deutschland das Thema vorm zweiten Auftritt in Bahrein, sondern hält die ganze Formel 1 in Atem.
Aber: Auch die anderen Personalien dieser Woche haben es in sich. Der 24-jährige Brasilianer, der in Miami aufgewachsen ist, ist Enkel von Exweltmeister Emerson Fittipaldi – jenem langmähnigen Charismatiker, der die Formel 1 in den Siebzigern in Brasilien so groß gemacht hat, dass seither immer neue Piloten aus dem südamerikanischen Land kommen. Pietro Fittipaldi hat also einen ähnlich großen Namen wie Mick Schumacher – auch wenn die Hochphase seines Opas schon so lange zurückliegt, dass nur echte Kenner den Zusammenhang kennen. Für die vielen Schumi-Jünger zählt diese Historie nicht.
Aber nicht die prominente Verwandtschaft von Fittipaldi ist ein Grund, sich den Burschen genau anzugucken an diesem Wochenende – sondern der Junge selbst. Denn er ist ein Fahrer, der vor noch gar nicht so langer Zeit das Porsche-Werksteam in der Sportwagen-WM so sehr begeistert hat, dass die Schwaben ihm einen Platz im Aufgebot für die 919 Hybrid-Monster der LMP1-Ära angeboten hätten – wenn der Vorstand das 919-Projekt wegen des Dieselskandals nicht schon beendet hätte.
Der Verlauf ist kurios: Der Abgang aus der WM war schon beschlossen und verkündet. Doch aus Vertragstreue nahmen die Schwaben noch an einem Nachwuchssichtungstest nach dem letzten Rennen in Bahrein statt – wo Fittipaldi als Sachprämie für seinen Titelgewinn in einer Nachwuchsformel fahren durfte. Und dabei überzeugte er so sehr, dass die Sport- und Teamchefs von Porsche mir hinterher sinngemäß sagten: Wenn wir weitergemacht hätten, dann wäre Fittipaldi in unser Team gekommen.
Das ist zwar nie groß rausgekommen. Aber irgendwann kann ja auch so etwas mal erzählt werden.
Das Bild auf dem Header hier oben auf der Seite zeigt Fittipaldi bei genau diesem Nahost-Test inmitten von Stephen Mitas (links) und Andreas Seidl. Der Australier war damals Vorarbeiter aller Renningenieure in Porsches LMP1-Team, Seidl Teamchef – was er inzwischen beim McLaren-Grand Prix-Team ist.
Stattdessen musste der Latino auf mühsamen Umwegen neuen Schwung für seine Karriere holen, brach sich bei einem schweren Unfall im Sportwagen-WM-Lauf in Spa in einem privaten LMP-Boliden ein Bein und musste sogar DTM fahren. Jetzt kriegt er plötzlich eine Beförderung in die Königsklasse. Als Ersatz für Romain Grosjean, den Glückspilz beim letzten Rennen in der Wüste.
Grosjeans Feuerball ist inzwischen von vielen Perspektiven beleuchtet worden, nicht zuletzt in zwei Expertentalks auf dem YouTube-Channel unserer Zeitschrift PITWALK in dieser Woche. Zwei Themen muss man noch mal rausgreifen: Der Bankierssohn aus der Schweiz neigt zu vermeidbaren Unfällen, weil er immer wieder den vorhandenen Platz für seine Manöver falsch einschätzt. Das war auch die Ursache für den Abflug an sich, der dann in der Leitplanke endete: Grosjean hat nach einem Schlenker im Feld bei einem Rivalen eingefädelt, das hat sein Auto aus der Bahn geworfen. Zweiter Kasus Knacktus: Der Winkel, in dem die Leitplanke in der Auslaufzone in Richtung der Strecke ragt. Die dürfte eigentlich nur parallel zur Pistenführung verlaufen, nicht in einem Winkel zum Asphaltband stehen. Unser YouTube-Experte Timo Rumfpkeil formuliert klar: Da hätte ein Fehler bei der eigentlichen Streckenabnahme vorgelegen, die so aus Sicherheitsgründen nie hätte erteilt werden dürfen.
Jetzt haben die Organisatoren mit einer Notlösung reagiert: Die Zunge der Leitschiene ist für Bahrein 2 sind mit Reifenstapeln und einer Hartgummiabdeckung davor – in der Branche heißt das „Förderband“ – verdeckt. Aber der Winkel ist immer noch da. Reifenstapel und Förderband entschärfen die Gefahrenstelle, merzen sie aber nicht aus.
Die Fahrerrochaden rund um Grosjean und den plötzlich an Corona erkrankten Lewis Hamilton bringen den letzten beiden Rennen des Jahres eine unerwartete Würze. Allein schon, dass George Russell zu Mercedes kommt – ein mittleres Erdbeben. Nach Dick Seaman, Stirling Moss und Hamilton ist er erst der vierte Engländer, der für die Schwaben fährt. Und Seaman, der Pionier, trat in den Dreißigern sogar für das Werksteam an, als Adolf Hitler die Silberpfeile für seine Propaganda nutzte.
Dass Russell bei Mercedes landete, war eigentlich von Anfang an klar. Warum? Das steht in der großen Wirtschafts- und Hintergrundgeschichte zur Lage in der Formel 1 in der aktuellen Ausgabe unserer Zeitschrift PITWALK. Bei den Zusammenhängen, die wir da entblättert haben, wird völlig klar, warum etwa Reserve- und Simulatorfahrer Stoffeln Vandoorne nie eine wahre Perspektive hatte, den Platz anstelle von Russell zu kriegen.
Russell gilt als kommender Weltmeister. Mehr noch als Mick Schumacher und Pietro Fittipaldi. Die Beförderung vom Kundenteam Williams zum Hauptwerksrennstall ist für ihn Chance und Bewährungsprobe zugleich. Er muss Valtteri Bottas entzaubern. Und das kann funktionieren, weil der Finne derzeit auf einer Formschwäche rumreitet, nachdem Hamilton ihn im Laufe des Jahres gründlich entzaubert hat. Russell muss gar nicht schneller sein als der Finne. Es reicht, wenn er auf Schlagdistanz rankommt, vielleicht eine Zehntel in der Qualifikation. Dann hat er schon gezeigt, dass er adhoc das Zeug hat, Bottas zu beerben. Und der Finne hat nur einen Einjahresvertrag bekommen. Russell hat jetzt die große Chance, sich in Position zu bringen, wenn seine Zeit kommt.
Dabei ist seine Ausgangslage durchaus kurios. Im Jahre 2009 war Russell noch ein Knirps, der beim damaligen McLaren-Formel 1-Jüngling Hamilton geduldig im ein Autogramm angestanden hat. Hamilton hat Russell die Unterschrift gegeben. Denn er selbst hat es in seinen jungen Jahren erlebt, wie der Ferrari-Flegel Eddie Irvine ihm ein Autogramm verweigert hat. Damals schwor Hamilton sich: So etwas Rüdes würde er selbst nie machen.
Einer der ersten Nutznießer davon war George Russell – der jetzt ausgerechnet das Auto seines einstigen Idols übernehmen kann.