16.01.2021
Sind sie die heimlichen Helden der Rallye Dakar? Erstmals war in diesem Jahr ein eigenes Feld von Old- und Youngtimern aus den Achtzigern und Neunzigern dabei – als die Marathonrallye ihrem Namen noch gerecht wurde und in der Tat durch Afrika pflügte, meist von Frankreich mit einer Fähre rüber nach Marokko, dann durch Mauretanien und Mali in den Senegal, zum namensgebenden Zielort Dakar.
War früher alles besser, oder ist die Dakar Classic ein Schrein für ewig Gestrige?
Wahrscheinlich ist das eine Kernfrage des Historischen Motorsports generell. Denn egal ob beim Eifel Rallye Festival, den Silverstone Classic oder dem großen Histo-Rennen, das alle zwei Jahre in Le Mans stattfindet, oder jetzt bei der Dakar Classic – die alten Autos üben eine enorme Faszination aus. Allerdings vor allem auf die ältere Generation.
Man darf sich nichts vormachen. Wenn man heutzutage auf ein Konzert von alten Heavyrockgrößen wie Judas Priest geht, sind die meisten Zuschauer auch eher 60 als 50. Für sie ist der Abend eine Zeitreise in ihre eigene Jugend; die richtig wilden Jahre von damals haben die Allermeisten abgestreift, aber für ein paar Momente kehrt sie im kleinen Rahmen noch mal zurück.
Mit Veranstaltungen des Historischen Motorsports ist es so ähnlich. Die alten Boliden rufen Erinnerungen an eine längst vergangene Ära wieder ins Gedächtnis zurück. Aber gerade im Sport erfüllt der Histo-Part noch eine andere Funktion: Er dient auch als Brückenschlag, um der jungen Generation eine Faszination zu vermitteln, die heutzutage nicht mehr erfahrbar ist.
Man kann ein ganz einfaches Beispiel bemühen: Fußball. Wer sich mal für Haudegen wie Horst Hrubesch mit Bananenflankengeber Manfred Kaltz, Paul Breitner, Hans-Peter Briegel, Jimmy Hartwig oder Uli Stein begeistern konnte – der guckt sich keine Spiele von leicht umfallbaren Kickern mehr an, die sich einen Edelfrisör ins Hotel einfliegen lassen. Aber im Fußball klappt das mit dem historischen Sport nicht so. Neulich fand ein Wohltätigkeitsspiel einer Benefiz-Allstarmannschaft beim SV Spetzerfehn statt, also um die Ecke von der Redaktion. Sogar Dieter Burdenski stand im Tor. Aber Bewegungsradius und Aktionsmöglichkeiten der Alten Herren haben die Faszination früherer Tage irgendwie nicht mehr so richtig hochkochen lassen.
Das ist im Motorsport anders. Die alten Autos sind die Stars der Veranstaltung. Und sie wecken direkt Assoziationen zu ihren damaligen Fahrern, viele von denen können sie sogar immer noch ansprechend bewegen. Zwar nicht mehr so am Limit wie zu den eigenen Sturm- und Drangzeiten. Aber wenn Kris Nissen, Armin Hahne oder Harald Grohs bei Historischen Tourenwagenrennen am Lenkrad drehen, dann merkt man immer noch, dass die früher mal richtig verwachsen waren mit ihren Sportgeräten – und irgendwie immer noch feine Kappilarwurzeln in den Wagen haben. Da wird die alte Faszination wieder lebendig.
Der Historische Motorsport taugt dazu, die alten Fahrer als Haudegen neu zu erkennen – und damit gerade in politisch korrekten Zeiten neue Entfaltungsmöglichkeiten abseits des glattgebügelten Alltags aufzuschlagen, zumindest in Gedanken. Wenn man schon kein Freigeist mehr sein darf, dann kann man zumindest mal ein bisschen darüber schwärmen, wie's wäre wenn.
Das klappt bei all' jenen Histo-Veranstaltungen, wo die alten Sportgeräte auch tatsächlich von der Leine gelassen werden. Marketinggetriebene Demofahrten wie auf Schloss Dyck oder bei diesem Eisrennen einer VW-nahen Agentur in Österreich taugen dazu nicht. Sie dienen der Bespaßung von sonst gelangweilten Bürogängern oder Städtern, genau wie die Formel E, haben aber keinen sportlichen oder sporthistorischen Wert. Zwar haben sie noch Zuspruch. Aber irgendwann werden die Zuschauer merken, dass sie da eigentlich nichts geboten bekommen außer einen Vertreterbesuch – wobei sie den Vertreter auch noch selbst besuchen und dafür sogar noch Eintritt bezahlen.
Um den wahren Wert – und einen reellen Nutzen – von Histo-Motorsportveranstaltungen zu erzielen, muss man die Wagen zumindest ansatzweise in einer Art und Weise fahren, für die sie eigentlich gedacht sind: von der Leine gelassen, auf Zeit oder in echten Rennen. In Le Mans und Silverstone, aber auch bei anderen Histo-Rennen in England, wird auch mit den alten Autos scharf gefahren. Zumindest so scharf, wie ihre neuen Besitzer das können. Mit deren fahrerischen Möglichkeiten ist es oft auch nicht so weit her. Aber die Faszination der Wagen und das sichtbare Bemühen der Fahrer reichen aus, um die eigene Jugend wiederzubeleben – und die Erinnerung an eine andere Ära des Motorsports.
Wer schon mal bei einem Histo-Event einen alten Williams aus der Mansell-und-Rosberg-Ära gesehen hat, findet die aktuelle Formel 1 plötzlich nicht mehr sonderlich faszinierend. Und auch nicht jene aus der Vor-Hybridzeit, um dieses Missverständnis gleich auszuschließen.
Wenn – selten genug – Histo-Formel 1-Rennen im Rahmenprogramm der aktuellen Grands Prix stattfinden, stehen Mechaniker und Ingenieure aus dem aktuellen Feld staunend und bewundernd vor den tollkühnen Kisten. Bei der Rallye Dakar war's jetzt genauso.
Das aber ist nur bedingt sinnvoll: Solange beide nebeneinander vor sich hin existieren, bringt die Faszination fürs Zeitgenössische wenig bis nichts. Im schlimmsten Fall schadet sie sogar, weil sie zeigt: Den Kram von heute brauchste Dir nich' mehr angucken. Siehe Fußball.
Man muss es so hinkriegen wie Udo Lindenberg oder AC/DC: alte Fans bedienen – und neue gewinnen.
Es gibt nur zwei Motorsportsparten, in denen die Evolution nicht ihre Kinder frisst: Le Mans und die Rallye Dakar. Die Dakar Classic ist auf den ersten Blick grenzwertig, weil die alten Autos nur als Gleichmäßigkeitsprüfung, also auf Durchschnittszeiten, gefahren worden sind – nicht scharf, nicht auf Bestzeiten. Bei der Marathonetappe des Hauptfeledes gab es für die Classic sogar ein eigenes Biwak, 200 Kilometer vom eigentlich entfernt.
Aber anders geht's wahrscheinlich nicht: Schon aktuelle Konstruktionen haben bei dem rauen, brutalen Gelände der Dakar Last mit der Haltbarkeit – wie sollen dann Altbauten ohne große Teaminfrastruktur über die zwei Wochen lange Tortourendistanz kommen?
Le Mans und die Sportwagen lösen das anders. Ihre Prototypen tragen immer noch das Erbe der alten 917- und Gruppe C-Zeit, sie sind unfreiwillig so behutsam modernisiert worden, dass ihre Abstammung immer noch klar erkennbar ist. Das zeigt sich gerade wieder am neuen Toyota-Hypercar für Le Mans. Das nimmt in der Erblinie klare Anleihen an die LMP1.
Damit vergrault es keine Fans, die wegen der LMP1 Le Mans und die WM geschaut haben.
Und die Erbfolge geht zurück bis in die Achtziger.
Damit wird auch klar, warum so viele Fans heute noch von der Gruppe C-Ära schwärmen: Sie vereint das Beste von damals mit allem, was auch heute noch gut ist.
Und deswegen gibt es dieses Jahr nur zwei Events, die man wirklich sehen muss: die Dakar Classic – und den Gruppe C-Supercup in Hockenheim Anfang Mai, beim Jim-Clark-Revival.
Denn nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen. Das gilt im Motorsport ganz besonders. Und gute Histo-Events machten die Vergangenheit verständlich. Genau das hat die Dakar Classic bewiesen.