08.01.2021
Die Heldin ist müde. Taye Perry, die Beifahrerin vom gestern zweitplatzierten Century-Fahrer Brian Baragwanath, hat ganz schlecht geschlafen. Denn in jenes Wohnmobil, in dem die zierliche Südfrikanerin im Biwak übernachten musste, kroch die fiese Kälte einer Januarnacht in der Wüste Nord-Saudi-Arabiens und ließ sie fröstelnd und bibbernd wachliegen.
In den späten Nachtstunden sank die Temperatur im Norden Saudi-Arabiens auf zwei Grad. Da hält die Isolation der rudimentären Camper, mit denen viele Teams wegen der Coronaauflagen im Biwak Vorlieb nehmen müssen, keinen Kälteeinbruch mehr ab.
Wie muss es da erst Perrys Halbteamkollegen Matthieu Serradori ergangen sein? Der Franzose hat nämlich gleich mal ganz im Freien übernachtet, in seinem Buggy nur eine Mütze Schlaf abbekommen – und sich ansonsten mit dem Mut der Verzweiflung durch die pickedüstere Wüste gepflügt.
Serradori fährt genau so einen Century CR6-Buggy wie Baragwanath/Perry. Allerdings setzt der ehemalige Motorradfahrer aus Frankreich den spektakulären Boliden in einem eigenen Team ein. Mit Unterstützung vom südafrikanischen Wagenbauer natürlich.
17 Kilometer nach dem Start verfängt Serradori sich mit dem linken Hinterrad an einem riesigen Stein. Die Wucht des Aufprall ist so groß, dass sogar der Felsbrocken in zwei Teile zerbricht. Dabei hat er das Format eines kleinen Findlings.
Serradori reißt sich dabei Teile der Aufhängungsstreben aus dem Radträger – und muss erstmal zwei Stunden auf den T4-Servicetruck des Teams warten, ehe ein neuer Radträger montiert werden kann. Die Reparatur dauert dann noch mal mehr als eine Stunde.
Kaum ist der drauf, scheren beim Wiederanfahren die Bolzen ab – ein Montage-Flüchtigkeitsfehler. Doch es handelt sich immerhin um den neuen Typ Radträger. Der muss nicht wieder ganz abgenommen werden. Stattdessen gibt es für ihn Notbolzen, die im normalen Werkzeugetui – quasi einem Werkzeugkasten in Rollenform – mitgeführt werden.
Aber auch die kleineren Notbolzen halten den Belastungen des tiefen Wüstensands nicht statt. An manchen Stellen hat es kurz zuvor geregnet. Je nach Menge, ist der Boden dadurch entweder hart kompimiert – oder schwammig. Und die wechselhaften Kräfte, die plötzlich an den Bolzen zerren, sorgen dafür, dass sie wieder brechen und den Radträger mit Rissen entstellen.
Letztlich müssen Serradori und sein belgischer Beifahrer einen alten Radträger wieder anschrauben, den ihnen erneut der Lkw erst bringen muss. Und dem letzten Radträger scheren 20 Kilometer vor Ende der Prüfung die Bolzen erneut ab. Nach einer weiteren Reparatur erreichen sie erst weit nach zwei Uhr morgens ein provisorisches Biwak.
Das haben die Veranstalter kurzerhand direkt am Ziel der Wertungsprüfung aufgeschlagen, um den Fahrern eine nächtliche Verbindungsetappe von 250 Kilometern zu ersparen. Gleichzeitig ist auch der Zapfenstreich – also das Zeitlimit, bis zu dem es die Fahrer ins Ziel der WP geschafft haben müssen – von 12 Uhr Mitternacht aufgehoben worden. Denn es wühlen sich neben Serradori noch so viele andere Teilnehmer durch den Sand, dass das zweite Zeltlager sich im Laufe der Nacht und bis zum Morgengrauen gut füllt.
Mehr zu den Hintergründen dieses zweiten Biwak und auch zum schweren Unfall von Hallspeed-Toyota-Fahrer Henk Lategan hört und seht Ihr übrigens in der heutigen Folge von Sand in Sicht hier https://www.youtube.com/watch?v=TX7wZbwkRTY – dem Film zur Morgenlage bei der Rallye Dakar auf dem YouTube-Channel der Zeitschrift PITWALK. Dort präsentiert Norbert Ockenga auch exklusive Video-Einblicke hinter die Kulissen aus eben diesem Notfall-Ausweichquartier.
Das SRT-Team jedenfalls schickt einen seiner Servicetrucks zur Ziellinie, während Serradori in der Prüfung noch darauf wartet, dass der Fast Assistance-Lkw von SRT von hinten ankommt, um bei der neuerlichen Reparatur wieder mit Teilen zu helfen. Das Ganze zieht sich so lange, dass der Franzose letztlich weit nach Mitternacht beim Team ankommt – und heute Morgen um sechs Uhr wieder aufgestanden ist, um als 17. in die heutige taffe Etappe von Ha'il zu starten.
Der T4-Truck, also die rollende Werkstatt, die Serradori zur Hilfe geeilt ist, kam sogar erst um halb 4 aus der Prüfung heraus. Und trotzdem sind die Mechaniker bei Sonnenaufgang wieder ans Werk gegangen, um demn CR6 des Franzosen für die heutige Etappe noch mal so gut es geht rundzuüberholen.
Die Strapazen auf der einen Seite, Jubel ein Lager weiter – auch das ist die Rallye Dakar. Denn während das SRT-Camp auf ihren Nummer 1-Fahrer wartet, freut sich das Century-Werksteam über Tagesrang 2 seiner Besatzung Brian Baragwanath/Taye Perry, errungen nach einem stundenlangen beinharten Duell mit Ex-Dakar-Sieger Giniel de Villiers in einem Toyota Hilux.
Das Tempo in den Dünen ist dabei so hoch, dass Baragwanath auf der Verbindungsetappe zum Biwak das Benzin ausgeht. Der Südafrikaner erreicht das 250 Kilometer entfernte Lager nur, weil er abgeschleppt wird – von einem Begleitfahrzeug aus dem Tross von Hallspeed-Toyota. Also dem großen Erzrivalen aus dem eigenen Land.